Interview |

»Wir stehen nicht von früh bis spät an der Klagemauer«

Was macht eigentlich der Sächsische Kultursenat? »Musik in Sachsen« will da mal etwas Licht ins Dunkel bringen. Aron Koban und Sandra Koch sprachen mit Christian Schramm, Präsident des Kultursenats und zugleich langjähriger Oberbürgermeister der Stadt Bautzen, über die Arbeitsweise des Senats, über Aufgaben, Schwierigkeiten und Pläne.

Christian Schramm, wörtlich bedeutet Senat „Ältestenrat“. Ist das im Sächsischen Kultursenat so?
Nein, die jüngsten sind um die 35, die ältesten über 70. Der Senat ist auch geschlechtsspezifisch und was das Verhältnis Praktiker – Theoretiker betrifft, gut gemischt. „Ältestenrat“ heißt hier nur Wissen und Erfahrung.

Derzeit hat der Sächsische Kultursenat knapp dreißig Mitglieder. Wie setzt er sich zusammen?
Der größte Teil sind gewählte Mitglieder. Die Vorschläge zu den Wahlen kommen aus dem Senat selbst: die Senatoren schlagen Persönlichkeiten vor, die sie für geeignet halten. Dazu kommt ein „politisch-technisches Hilfspersonal“: der Geschäftsführer der Kulturstiftung, Ralph Lindner, der für uns gewisse Verwaltungsarbeiten wahrnimmt. Außerdem hat der Landtag die Möglichkeit, drei Abgeordnete nach eigener Auswahl zu entsenden, die die politische Brücke in die Fraktionen bilden. Außerdem kann der Sächsische Städte- und Gemeindetag bzw. der Landkreistag Mitglieder des Senats vorschlagen – in der Regel einen Landrat oder Bürgermeister.

Nach welchen Kriterien kommen die Vorschläge zustande?
Der Senat ist bestrebt, die bestehende Kulturlandschaft im Freistaat über die Persönlichkeiten der Senatoren abzubilden. Auch wenn das nicht immer gleichermaßen geht, haben wir einen guten Querschnitt. Unter den Mitgliedern haben wir Praktiker, beispielsweise den Rektor der Hochschule für Musik, Prof. Ekkehard Klemm, und Theoretiker, die aus den philosophischen Fächern kommen, wie Prof. Karl-Heinz Rehberg aus der Soziologie.

Wie lange kann man im Kultursenat bleiben?
Die Mitgliedschaft ist von vornherein auf zwei Mal sechs Jahre begrenzt. Das hat den Vorteil, dass ein kontinuierlicher Austausch stattfindet und neue Gesichter dazukommen - man bleibt nicht bis 90 zusammen.

Wie ist das Verhältnis zur Kulturstiftung? Mit Ralph Lindner, dem Stiftungsdirektor, gibt es ja eine deutliche personelle Überschneidung zu Ihrer Geschäftsstelle.
Der Senat und die Stiftung sind getrennte Institutionen. Die Funktion der Kulturstiftung des Sächsischen Freistaates ist die Förderung von Künstlern und aktueller künstlerischer Projekte. Der Kultursenat hat dagegen eine ganz andere Aufgabe: Er berät die Regierung in kulturpolitischen Fragen.

Was bedeutet genau „die Regierung“?
Unser Ansprechpartner kann das SMWK sein, das Kultus- oder in Teilen das Sozialministerium, z.B. bei Fragen im Bereich der Schul- und Sozialarbeit. Die Brücken suchen wir uns auch selbst. Innerhalb der Regierung gibt es eine interministerielle Arbeitsgruppe, wo übergreifende, auch kulturpolitische Fragen geklärt werden. Einmal im Jahr trifft sich der Senat zudem mit dem kulturpolitischen Ausschuss des Landtags, wo wir zu Problemen vortragen, bei denen auch die politischen Vertreter im Landtag gefragt sind, zum Beispiel zum Thema Kulturfinanzierung.

Wann und wie kommt der Senat zusammen?
Wir haben regulär zwei Mal jährlich eine Plenarsitzung jeweils über einen ganzen Tag. Daneben haben wir Arbeitsgruppen gebildet. Im Moment gibt es drei, die sich zwischen diesen Terminen treffen.

Womit befassen sich die Gruppen?
Eine Arbeitsgruppe befasst sich momentan mit dem Thema Willkommenskultur, verstanden als gesamtkultureller Auftritt des Freistaats, auch im Hinblick auf Zuwanderer. In der zweiten Gruppe geht es sowohl um Bildung in der Schule als auch um außerschulische Bildung. 2011 hat der Senat seinen 5. Kulturbericht unter dem Titel »Was Pisa nicht gemessen hat« erstellt. Darin wird die Wichtigkeit von Fähigkeiten betont, die sich schlecht oder gar nicht in Zahlen ausdrücken lassen. Und wir haben kritische Fragen aufgeworfen, damit das Handeln in der Bildungspolitik überdacht wird. Eine dritte Arbeitsgruppe beschäftigt sich aktuell mit dem Kulturraumgesetz und seiner Weiterentwicklung.

»Man bleibt nicht bis 90 zusammen«

Wie findet die Beschlussfassung innerhalb des Senats statt? Kommt es vor, dass ein Vorschlag abgelehnt wird?
Ja, etwa wenn zum Beispiel der Zeitpunkt für eine Initiative ungünstig ist, wir uns nicht oder noch nicht einig sind. Die Beschlussfassungen selbst geschehen wie in jedem anderen Gremium: Es gibt eine Wahl bei den Zuwahlen neuer Mitglieder, und eine Mehrheitsabstimmung bei den Beschlusslagen.

Wer legt die Tagesordnung fest?
Das ist Aufgabe des Präsidenten. Aus den Reihen der Senatoren kommen Vorschläge, die ich abfrage, manchmal ergeben sich in der Zwischenzeit Themen, die notwendig geworden sind. In der Regel laden wir für einen Bericht oder ein Gespräch die Staatsministerin oder einen anderen Minister ein. Dann arbeiten wir unsere Themen ab und es findet ein Austausch über nächste Vorhaben statt.

Wie sieht ein typischer Vorgang in einer Sitzung aus?
Ein Beispiel: Die Regierung hat den Senat beauftragt, sich über die Auswahl des immateriellen Weltkulturerbes eine Meinung zu bilden. Die diskutierten Ergebnisse sollen in eine Empfehlung münden. In den Arbeitsgruppen haben wir zunächst vorberaten, welche von den eingereichten Vorschlägen überzeugend sind. Die Ergebnisse haben wir in die Plenarsitzung genommen und der Senat hat mit einer entsprechenden Mehrheit beschlossen, welche Projekte auf die Liste gesetzt werden sollten.

Und ein atypischer Vorgang?
Bei einer Debatte im Senat, die recht allgemein war, sind wir über das Thema der Elitenbildung gestolpert. In den verschiedensten Bereichen gibt es den Begriff der Eliten. Wir wollten fragen, ob Elitebildung für unsere Gesellschaft eher eine Chance oder eine Gefahr darstellt. Deswegen haben wir uns in der letzten Sitzung intensiv mit diesem Thema beschäftigt, auch mit Hilfe von Referenten. Das war weder ein Auftrag noch ein aktuelles Thema, aber es schwingt bei vielen Überlegungen zu Fragen der Bildungslandschaft mit. Da gibt es dann keinen Beschluss, aber eine elementare Erörterung der Grundlagen.

Das Thema der Kulturellen Bildung haben Sie angesprochen. Durch welche Initiativen oder Projekte könnte Ihrer Ansicht nach die jüngere Generation an Kultur herangeführt werden?
Im ländlichen Raum ist Mobilität ein großes Problem. Schüler können nicht überall ohne Weiteres Kultureinrichtungen erreichen. Andererseits tun sich Orchester oder Theater auch aus finanziellen Gründen schwer, in die Fläche zu gehen. Vorstellbar wäre ein „Bildungsticket“, eine kostengünstige Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, damit der Schüler ins Konzert in der nächstliegenden Stadt fahren kann. Und die Theater, Orchester oder andere Kulturschaffende sollten bessere Möglichkeiten und ein solideres Budget bekommen, um ihrerseits auf eine Schule zuzugehen.

In der Kulturförderung wird seit Jahren über einen Rückgang der Fördermittel geklagt. Wird es immer nur noch weniger?
Das würde ich so nicht bestätigen, auch wenn dies in der Wahrnehmung eines seit Jahren schlecht bezahlten Orchestermusikers anders aussieht. In vielen Bereichen gibt es Verbesserungen. Denken Sie an das Projekt „Jedem Kind sein Instrument“ oder die Unterstützung der Musikschulen. Im Vergleich zu den anderen Bundesländern hat der Freistaat im Haushalt ein ansehnliches Budget für die Kultur, auch wenn viele zu kämpfen haben.

»Wir ermahnen den Freistaat«

Sehen Sie noch Kapazitäten für mögliche neue Fördertöpfe, die in den nächsten Jahren entstehen könnten? Wie oder wodurch könnten die entstehen?
Wir sind bestrebt, den Freistaat darauf hinzuweisen, die Gesamtmittel nicht zurückzufahren: sowohl bei den staatseigenen Einrichtungen wie der Semperoper als auch bei den Zuschüssen an die Kulturräume. In beiden Bereichen muss man darauf achten, dass das Niveau erhalten bleibt. Zur Zeit arbeiten wir daran, dass die Mittel für die Kulturräume etwas aufgestockt werden. Tarife und Betriebskosten haben sich erhöht, Neues ist entstanden, sodass es notwendig ist, die Mittel anzupassen. Immerhin sind 5 Millionen Euro für 2015 und 8 Millionen Euro für 2016 geplant. Wir haben mehr erwartet, insofern ermahnen wir den Freistaat. Aber wir stehen nicht von früh bis spät an der Klagemauer.

Was meinen Sie zu der demographisch bedingten Prognose, dass Kultur in Zukunft absehbar nur noch in großen Ballungsräumen stattfinden wird?
Die Inanspruchnahme von Kultur, die Besucherzahlen im Theater und in den Museen, ist nicht geringer geworden. Unsere Feststellung ist, dass sich im ländlichen Raum ganz neue Formen von Kultur entwickeln, die dem entsprechen, was dort organisatorisch möglich ist. Das beinhaltet viel ehrenamtliches Engagement. Es gibt Künstler, die mit ihrem Atelier ganz bewusst in den ländlichen Raum ziehen, und nicht nach Leipzig. Der ländliche Raum hat eine Spezifik, die wertvoll ist. Avantgarde gibt es eher in der Großstadt, zumal wenn dort Kunsthochschulen ihren Sitz haben. Aus meiner Sicht ist Avantgarde allein nicht unbedingt ein Qualitätsmaßstab, ich stelle mir eher die Frage: Was gibt es wo?

Gibt es Möglichkeiten der Evaluierung des Erfolgs in der Arbeit des Kultursenats?
Den Erfolg des Senats kann man sehen, wenn eine Anregung politisch angekommen ist und verarbeitet wird.

Wann hat die Arbeit des Kultursenats denn in der letzten Zeit einmal zu einem sichtbaren Erfolg geführt?
Der letzte Kulturbericht über die Kulturelle Bildung hat mit seinen kritischen Überlegungen dazu geführt, dass im SMK darüber reflektiert wird, was in diesem Bereich verändert werden müsste. Außerdem haben wir bemerkt, dass unser Positionspapier zum Kulturraumgesetz eine große Rolle spielt. Unsere Gedanken zur Kultur sind stark in die Koalitionsverhandlungen eingegangen und im Koalitionsvertrag textlich zum Klingen gekommen. Wichtige Fragestellungen, von kultureller Bildung und „Willkommenskultur“ bis hin zur Bestimmung von Kultur als solcher sind aufgenommen worden.

Im Bereich Film haben wir das Thema der Rettung des audiovisuellen Erbes angestoßen. Der umfangreiche Bestand der analogen Filme ist hochgefährdet, weil sich dieses Material zersetzt, und damit der Verlust wesentlicher zeitgeschichtlicher Dokumentationen droht. Für dieses Problem gab es bisher kaum ein Bewusstsein. Wir haben erreicht, dass Filmsicherung wörtlich im Koalitionsvertrag erwähnt wird.

Wirkt der Senat auch sichtbar in die Öffentlichkeit?
In den letzten Jahren haben wir öfters gemeinsame Veranstaltungen mit der Sächsischen Akademie der Künste durchgeführt, letztens zum Thema »Ressource Kultur«. Mit Hilfe solcher Kooperationen haben wir die Möglichkeit, in die Öffentlichkeit zu gehen und dort Themen zu diskutieren.

Womit wird sich der Senat in nächster Zeit beschäftigen?
Nur um eine Auswahl zu nennen: Uns interessiert der Umgang mit der so genannten DDR-Kunst in den Beständen der Wismut und deren Bewertung. Weiterhin werden wir uns mit der Evaluation des Kulturraumgesetzes befassen und über den nächsten Kulturbericht sprechen. Auch steht der Themenkomplex der Social Media auf der Agenda: Welche Chancen können für die Kultur dabei entstehen? Kultur und Zuwanderung ist ein anderes wichtiges Thema. Hier greift ein erweiterter Kulturbegriff, der Kultur als Instrumentenkasten gesellschaftlichen Zusammenlebens versteht, jenseits der Institutionen wie Theater und Orchester. Außerdem werden wir uns mit dem neuen Ausländerbeauftragten treffen: Im Hinblick auf die problematischen Entwicklungen der letzten Monate in Dresden wollen wir die Erkenntnisse verdichten und wissen, wo Sachsen jetzt steht und welchen Beitrag bzw. welche kritischen Impulse Kultur leisten kann und muss. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Christian Schramm
Foto: Stadtverwaltung Bautzen

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