Interview |

»Wir sind ein Teil der Erde«

Seit nun schon zehn Jahren besteht die Elbland Philharmonie Sachsen, das Orchester des Kulturraumes Meißen – Sächsische Schweiz – Osterzgebirge. 2012 fusioniert aus dem damaligen Klangkörper der Landesbühnen Sachsen und der vormaligen Neuen Elbland Philharmonie, wird das Orchester seit 2017 von Chefdirigent Ekkehard Klemm geleitet. Dem ist ein Bekenntnis zur Neuen Musik schon immer ein Herzensbedürfnis. Nun wird er einmal mehr ein neues Werk des Dresdner Komponisten Wilfried Krätzschmar herausbringen. Anlässlich der bevorstehenden Uraufführung sprach Michael Ernst mit dem Komponisten.


Ihre jüngste Komposition mit dem mahnenden Titel »Wir sind ein Teil der Erde« ist natürlich nicht erst gestern und heute entstanden, wirkt nun aber aktueller denn je. Wie sehen Sie diesen Zusammenhang zwischen Werk und Gegenwart?

Wilfried Krätzschmar: Das ist für mich erschreckend und nochmal viel aktueller geworden als zu der Zeit, als ich es geschrieben habe. Zwar gab es all diese Fragen, die uns heute nicht mehr bloß bedrängen, sondern geradezu bestürzen, auch da schon. Inzwischen sind Weltfragen daraus geworden, die so akut damals wohl noch nicht an der Tagesordnung gewesen sind. Aber ausschlaggebend waren für mich die Schönheit und die Wucht dieses Textes. Als der mir begegnete, dachte ich sofort, das muss ich irgendwie in eine musikalische Form bringen.

Sie sprechen von der Rede des Häuptlings Seattle, in der das Begehren der USA zurückgewiesen wurde, Land der nordamerikanischen Ureinwohner kaufen zu wollen. Er war in der in den 1850er Jahren schon davon überzeugt, dass die Erde, das Wasser, die Luft zu den unveräußerlichen Dingen der Natur gehören. Wie sind Sie auf diesen Text gestoßen?

Ich bekam das Büchlein mit diesem Text zum Geburtstag geschenkt. Das war 2017, da habe ich angefangen, mich mit dem Gedanken zu beschäftigen, hatte damals aber noch andere Arbeiten auf dem Tisch, sodass es sich noch zwei Jahre hingezogen hat, ehe ich mich wirklich mit der Partitur beschäftigen konnte. Bis dahin hatte ich von dem Text nichts gewusst, obwohl er eigentlich schon längst weit verbreitet – und hinsichtlich seines Ursprungs und der Authentizität höchst umstritten – gewesen ist. Jedenfalls hat er mich sofort gereizt und ich wollte Musik dazu machen, zumal mir auch die deutsche Übersetzung sehr zugesagt hat.

Wieso ein Stück für Bariton und Orchester und kein oratorisches Chorwerk?

Diese Frage ist mir auch schon von anderer Seite gestellt worden, aber ich kann keine plausible Begründung dafür liefern. Ganz simpel könnte ich sagen, dieses Bild, dass der Häuptling zum amerikanischen Präsidenten spricht, ist ein Ausdruck für den Komponisten, der zu seinem Publikum spricht. Mir war aber von Anfang an klar, kein Agitprop-Stück schreiben zu wollen. Die wichtigsten Dinge sagt der Sänger im Piano, ich denke, dass sie dann viel eindringlicher sind als wenn man die Leute anschreit. Auch das Belehrende liegt sehr nah in dem Text. Er sagt ja, dass wir uns gut zur Erde benehmen sollen. Ich habe das als Gefahr angesehen, pathetisch zu werden und den Zeigefinger zu heben, das ist für mich in gewisser Weise ein Balanceakt gewesen.

Die Botschaft wird durch den Sänger verkündet, das Dramatische spielt sich im Orchester ab. Sie wollten den Text aber nicht mit musikalischen Mitteln kommentieren?

Man verändert sich ja auch selbst, also in der Kompositorik und wie man mit dem Material so umgeht. Das kann man ganz gut beobachten. Ich bin jetzt 78, das könnte also heißen, der ist jetzt in seinem Alterswerk, da geraten mehr die rückschauenden oder bewertenden Dinge in den Vordergrund. Doch das mögen andere von außen beobachten. Für mich hat das bei dieser Arbeit eigentlich keine Rolle gespielt.

Bei der Beschäftigung mit meiner 6. Sinfonie stieß ich auf Erich Kästners Rede »Über das Verbrennen von Büchern« und wollte sofort ein Gesangsstück daraus machen. Das war schon für Bariton und Orchester angelegt. Und in diesem Moment bekam ich dann den Text von Häuptling Seattle geschenkt, den habe ich sofort gelesen. Ich war derart fasziniert, dass ich den Kästner erst mal beiseitegelegt habe. Aber dann wurde mir sehr rasch klar, daraus wird etwas Größeres, also nicht nur ein Einzelstück. Später kam dann noch ein Gedicht von Günter Eich dazu, ein sehr schöner lyrischer Text, der sich bohrend und insistierend um die Frage bewegt, dass uns alles, was geschieht, auch ganz persönlich angeht.

Für diese drei Gesänge gibt es keine Themen im musiktheoretischen Sinne, für die ich melodische Konturen erfinde, sondern ich denke hier in Komplexen oder Situationen, um Zustände zu beschreiben. Wenn ich die Musiksprache in »Wir sind ein Teil der Erde« verbalisieren sollte, müsste ich zunächst vom Zustand der Ruhe sprechen. Zu Beginn also ein Atem der Ruhe als Bild der Ausgeglichenheit, der Schönheit einer sich in Ordnung befindlichen Welt. Ich weiß natürlich, das ist mit den Mitteln heutiger Musiksprache nicht ganz einfach, man gerät da schnell in die Falle von Abziehbildern.

Eine andere Situation ist dann die, dass einen die heute aufgeworfenen Fragen aufwühlen und in eine Dramatik treiben, oft sogar in eine Hilflosigkeit. Das macht das Orchester dann. Aber das ist mehr eine Metapher. Ironisch gesagt, bedeutet Komponieren für mich eigentlich, das Chaos zu organisieren. Bei einem Orchesterstück denke ich immer im Orchesterklang, der für mich zwei extreme Pole hat: Auf der einen Seite das Nicht-Durchhörbare und auf der anderen Seite der einzelne Ton. Der aber genauso viel Wucht haben kann! Als ich dann beim Dritten Gesang angelangt war, fand ich, dass dazu noch ein Epilog für Orchester geschrieben werden müsste. Der ist jetzt auch fertig. Es ist somit ein ganzer Zyklus entstanden.

Sie sprachen von Ihrem sinfonischen Schaffen – wie geht es damit weiter?

Sinfonie ist etwas Großes. Wenn man Sinfonie über eine Partitur schreibt, stellt man sich in eine Arena, die schon lange besetzt ist. Nach dem Studium habe ich zehn Jahre gebraucht, ehe ich mich da hineinbegeben habe. Ich hatte Skrupel, diese große Errungenschaft unserer abendländischen Kultur zu berühren. Inzwischen sind fünf Sinfonien von mir aufgeführt worden, ich habe mich also durchaus zu diesem Ausdrucksmittel bekannt. Vielleicht ist das in der Literatur mit dem Roman vergleichbar. Der ist ja auch nicht unmodern geworden, nur die Art, wie man ihn schreibt, ist moderner geworden.

Zu meiner 5. Sinfonie, die ja auch mit der Elbland Philharmonie uraufgeführt wurde, habe ich einen sehr langen Anlauf genommen. Während dieser Zeit hatte mich schon die 6. bedrängt, ein Stück, das sich als Memento den Zuständen unserer Welt entgegenstellen will. Also bezogen auf die Verwahrlosung in der Gesellschaft, die um sich greifende Flachheit, auch Fragen der Niedertracht, der Gewalt und der Rücksichtslosigkeit berührt. Dummheit hat nichts mit Lexikon-Wissen zu tun. Das hat mich sehr beschäftigt, wie wir mit unserem Dasein umgehen.

Dazu angeregt haben mich das Gedicht »Das Wesen Mensch« von Reiner Kunze, in dem es heißt, Milliarden Galaxien würden uns fliehen, »Sie fliehen uns, als wüßten sie, vor wem sie fliehen« sowie Francisco de Goyas »Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer«. Das habe ich als Motto über die Partitur dieses einsätzigen Nachtstückes gesetzt, wie es im Untertitel heißt. Ein sehr hartes Stück, das jetzt im November in Brandenburg uraufgeführt werden soll.

Ich könnte mir eine Nummer sieben vorstellen, aber die Frage ist, ob ich das zeitlich schaffe. Und ob ich den richtigen Partner dafür finde. Es ist ein großes Verdienst der Elbland Philharmonie und Ekkehard Klemm, mit welcher Selbstverständlichkeit und Professionalität hier das zeitgenössische Schaffen in durchaus verschiedenen Handschriften gepflegt wird. Das tut auch dem Orchester gut.

 

Wilfried Krätzschmar | Foto © Klaus Michael

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