Interview |

Was Liebhaber wünschen

Letizia Turini weiß, was fünfundzwanzigtausend Liebhaber in Deutschland wünschen: Die studierte Flötistin und Musikwissenschaftlerin bearbeitet die Notenwünsche hunderter Liebhaberorchester, die in der Dresdner Leihbibliothek des Bundesverbandes eingehen.

Der Bundesverband Deutscher Liebhaberorchester e.V. (BDLO) hat kürzlich die Notenbestände aus zwei Zweigstellen zusammengeführt und in eine neue Mitgliederbibliothek am Standort Dresden eingebracht. Per Fernleihe können die "Liebhaber" das Notenmaterial nun für eine Aufwandsentschädigung in der neuen Bibliothek ordern; Letizia Turini kümmert sich um eine möglichst rasche Bearbeitung.

Turini, die ihr Studium in Mailand begann, führte ein Stipendium nach Münster, wo sie deutsch lernte. An der Dresdner Musikhochschule schloss sie ein Aufbaustudium an, arbeitete zweieinhalb Jahre als Substitutin. Letztes Jahr schloss sie noch ein Alte-Musik-Studium in Leipzig ab und arbeitet nun freischaffend als Lehrerin und Flötistin. Ihre Vormittage jedoch verbringt sie – in der Bibliothek!

Fünfzig bis sechzig Bestellungen seien es momentan pro Monat, rechnet die musikalische Bibliothekarin kurz zusammen; auch aus der Schweiz und aus Österreich kämen die Anfragen. Was von dem breiten Bestand von immerhin mehr als 6500 Einzeltiteln bestellt wird, unterliegt dabei "modischen" Schwankungen. Hoch im Kurs stehen dieser Tage die Sinfonien von Joseph Haydn, auch Edvard Griegs "Peer Gynt". Ein Immergrün seien auch die Auszüge des Musicals »My Fair Lady«, welche seit  einigen Jahren oft und gern bestellt werden.

Nicht zuletzt, damit Sie, liebe Liebhaber, das Publikum nicht mit den immer gleichen Standards ermüden, sei gemeinsam mit der Bibliothekarin ein kleiner Ausflug durchs Repertoire gestattet (den Sie übrigens online mitmachen können; das ausleihbare Repertoire ist digital einsehbar; Link siehe Seitenspalte). In der Repertoire-Tradition vieler Liebhaberorchester begründet, hat Frau Turini vieles an Salonorchestermaterial zu bieten, "wirklich traumhafte Titel aus den fünfziger bis siebziger Jahren, meist für kleine Orchester, und schön arrangiert!". Lehar-Bearbeitungen seien darunter, auch der "Tahiti Trott", Schostakowitschs Bearbeitung des Vincent-Youmans-Hits »Tea for Two«. Momentan gehe der Trend daneben zu Wiederausgrabungen des Komponisten Leroy Anderson, zu "Blue Tango" oder der "Syncopated Clock". Viel seltener ausgeliehen, aber durchaus interessant und spielbar, sind etwa ein heute quasi vergessenes Friedens-Oratorium von Pablo Casals (1960 uraufgeführt in Acapulco); eine zweiaktige "Harlekinade" – eine Art Hybrid zwischen komischer Oper und lyrischem Drama – des Bruckner-Schülers und späteren Hellerau-Inspirators Emil Jaques-Dalcroze; oder Paul McCartneys erstes großes "klassisches" Werk, das 1991 uraufgeführte "Liverpool"-Oratorium. Schaut man sich im Katalog etwas um, fallen noch einige Baustellen ins Auge, denen sich Letizia Turini in den nächsten Monaten widmen muss: manche Datensätze sind in der neuen Datenbank zu korrigieren oder zu vervollständigen. Der erwähnte Beatle firmiert zum Beispiel unter 'MacCartney', und vom renommierten britischen Komponisten Peter Maxwell Davies, der nächstes Jahr seinen achtzigsten Geburtstag feiert, sind noch keine Werktitel eingepflegt.

Gerade der Trend jüngerer Orchester, die sich oft kurzfristig für außergewöhnliche Projekte zusammenfinden, eher mit pdfs (und vielleicht bald ausschließlich mit elektronischem Papier?) arbeiten, könnte vielleicht auch wieder eine größere Vielfalt an aufgeführten Werken bedeuten. Letizia Turini jedenfalls macht Angebote und verschickt auch einen Newsletter, in dem die Neuerwerbungen der Bibliothek erwähnt sind und Vorschläge für dramaturgisch ausgefeilte Konzertprogramme gegeben werden.

Martin Morgenstern

Die Bibliothekarin weiß, was fünfundzwanzigtausend Liebhaber wünschen...
Foto: Martin Morgenstern

<link http: www.bdlo.org>www.bdlo.org

Textfassungen des Artikels erschienen in »Das Liebhaberorchester« und »Bibliotheken in Sachsen«.

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