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Virtuosität und emotionale Tiefe

Im Jahr 1996 von Matthias Jung in Dresden gegründet, avancierte das Sächsische Vocalensemble in kürzester Zeit zu einem in Deutschland und international geschätzten Spitzenensemble. »Es lag mir am Herzen, einen Klangkörper aufzubauen, der sich durch hohe Motivation und Professionalität seiner Mitsänger auszeichnet und dem es gelingt, auch anspruchsvolle Literatur in kurzer Zeit zu erarbeiten.« Maßstabsetzende Aufführungen Alter Musik, stilistische Sicherheit, artikulatorische Präzision, intonatorische Souveränität, Virtuosität und emotionale Tiefe sind zum Markenzeichen des Ensembles geworden. Das Geheimnis der von Publikum und Presse gerühmten Klarheit und Homogenität des Chorklanges liegt in der Kontinuität der Probenarbeit und der Besetzung. Die Mitarbeit im Ensemble setzt eine intensive musikalische Ausbildung voraus. Zur Stammbesetzung des Chors gehören 22 überwiegend in Sachsen beheimatete Sängerinnen und Sänger, größtenteils Studenten und Absolventen von Musikhochschulen oder musiknaher Berufe. Je nach Repertoire variiert die Ensemblegröße bis zu 28 Sängern, um eine dem Werk angemessene Interpretation zu ermöglichen. Einen Schwerpunkt der Programme bildet die Musik zwischen Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach, wobei die Aufführung unbekannter oder selten erklingender Kompositionen der Dresdner Hofmusik ein besonderes Anliegen des Ensembles ist. »Das Sächsische Vocalensemble hat sich seit seinem Gründungskonzert in der Dresdner Annenkirche im November 1996 auf die Musik des Barock spezialisiert, ohne die Renaissance, das Jahrhundert der Romantik und des Historismus sowie die Moderne auszusparen [...] eine Überfülle qualitätvoller Programme, vielfach Ausgrabungen, [sind] in den letzten 20 Jahren klangliche Realität geworden […] Matthias Jungs Konzertkonzeptionen sind von thematischer Klugheit und Originalität bestimmt – mit regelmäßigen Novitäten, ja Weltneuheiten, meist geschöpft aus vorwiegend einheimischen handschriftlichen Notenbeständen, was übrigens große Vorarbeit erfordert und das Risiko einschließt, auf Musik unterschiedlichster Beschaffenheit zu stoßen«, so der Musikwissenschaftler Matthias Herrmann in der Festschrift zum Jubiläum. Daneben verschreibt sich das Sächsische Vocalensemble mit besonderem Engagement der Moderne, so durch Uraufführungen eigens für das Ensemble komponierter Werke u.a. von Jan Müller-Wieland, Manfred Weiss, Reiko Füting, Bernd Franke, Karsten Gundermann, Johannes Wulff-Woesten und CD-Einspielungen zeitgenössischer Musik. »Die Vorzüge eines solch exzellenten Chores sind eben nicht an Lehrbuchepochen gebunden.« Dieser Satz aus einer Zeitungskritik zum Konzert anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Sächsischen Vocalensembles […] beschreibt […] im Kern, was man als eine der zentralen Eigenschaften dieses Chores hervorheben kann: die musikalische Flexibilität. Das Programm des Jubiläumskonzerts im Jahr 2006 bestätigt dies selbstbewusst, denn Werken von Palestrina, Schütz und Bach wurden solche von Benjamin Britten, Ola Gjeilo und Karsten Gundermann (Uraufführung) zur Seite gestellt – mit großem Erfolg. Wenn […] der Fokus auf den Bezug des Ensembles zur zeitgenössischen Musik in den nunmehr zwanzig Jahren seines Bestehens gerichtet [wird], dann geht es […] nicht um etwas Zusätzliches, sondern um Ureigenes«, schreibt Meinhardt Möbius, ehemaliges Chormitglied, in genannter Festschrift. Zu verzeichnen ist in den letzten zehn Jahren eine ansteigende Zahl von Uraufführungen. Es vergeht keine Konzertsaison ohne Präsentation eines neuen Werkes.

Mit der seit 2010 – dem Jahr von Schumanns 200. Geburtstag – etablierten Robert-Schumann-Ehrung in Dresden erschlossen sich der Trägerverein des Ensembles und der Künstlerische Leiter eine neue kulturelle Dimension. Sie würdigen die produktiven Dresdner Jahre des Komponisten jährlich mit einem mehrtägigen Musikfest. Im Zentrum stehen dabei Schumanns große Chorkompositionen im Dialog mit Werken seiner Frau Clara, von Künstlerfreunden und Zeitgenossen. Reflexionen von Komponisten des 19. bis 21. Jahrhunderts auf das Werk des großen Romantikers belegen seine inspirierende Kraft bis in die Gegenwart. Ein Rahmenprogramm schließt weitere musikalische Formate sowie Lesungen, Ausstellungen und Vorträge ein. Robert und Clara Schumanns Schaffen an den historisch belegten Orten in Dresden (Coselpalais, Hôtel de Saxe, Palais Großer Garten) und Umgebung (Schloss Maxen, Kirche zu Kreischa, Maxen und Schloss Weesenstein) einem breiten Publikum zu präsentieren, gehört mittlerweile zum Profil des Ensembles. Heute markieren Medaillons die entsprechenden Stätten und verbinden sie zu einem Gedenkweg für Robert und Clara Schumann. Die Leiterin des Schumann-Netzwerkes Ingrid Bodsch aus Bonn schätzt ein, dass Dresden durch diese Aktivitäten wieder als Schumannstadt wahrgenommen wird: Vom »Focus« bis zur »Allgemeinen Augsburger Zeitung« sei von der »Wiedergeburt des Komponisten in der Elbestadt« die Rede. Was in Leipzig oder anderswo die Kommune übernimmt, das wird in Dresden durch bürgerschaftliches Engagement »gestemmt«.

Seit seiner Gründung wird das Ensemble von Rundfunkanstalten verpflichtet und gastiert auf renommierten Festivals wie dem Bachfest Leipzig, den Dresdner Musikfestspielen, dem Kissinger Sommer, den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen und dem Rheingau Musikfestival. Konzerttourneen führten das Ensemble nach Frankreich, Tschechien, Polen, Italien, Österreich. Nach den erfolgreichen Japan-Gastspielen des Sächsischen Vocalensembles 2009 und 2011 sowie solistischen Engagements des künstlerischen Leiters Matthias Jung als Dirigent und Leiter von Workshops mit japanischen Chören war das Ensemble vom 25. Oktober bis 3. November 2016 erneut eingeladen, um Konzerte in Tokio, Kobe, Otsu, Osaka und erstmals in Sapporo zu geben. Nach einem umjubelten Konzert in der ausverkauften Miyagi Gakki Hall in Tokio beschloss das Sächsische Vocalensemble mit einem Konzert in Sapporo seine bisher erfolgreichste Japan-Tournee. Im 20. Jahr seines Bestehens präsentierte das Ensemble während dieser Reise Glanzlichter seines Repertoires. Auf dem Programm standen neben Werken von Bach und Brahms Motetten der zuletzt auf CD erschienenen Sammlung des Thomaskantors Johann Adam Hiller. Eine besondere Begegnung war die gemeinsame Aufführung doppelchöriger Gesänge Schumanns für gemischten Chor mit dem Kobe City Philharmonic Chorus unter der Leitung von Matthias Jung. Daneben wurde ein Schülerkonzert in einer Tokioer Schule gestaltet. Schon vor Abschluss der Reise liegen Einladungen für eine erneute Tournee des Ensembles vor. International erregte das Ensemble insbesondere durch seine Interpretation der Werke Johann Sebastians Bachs Aufmerksamkeit. Die Einspielung seiner Motetten wurde im Jahre 2002 mit dem bedeutendsten internationalen Preis für klassische Musik, dem »Cannes Classical Award« ausgezeichnet. 2004 erhielt die Weltersteinspielung von Ernst Peppings Chorzyklus »Heut und Ewig« nach Gedichten von Johann Wolfgang von Goethe den Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Mittlerweile liegen über 20 CDs mit Werken von Heinrich Schütz, Georg Philipp Telemann, Antonio Lotti, Guillaume Bouzignac, Domenico Sarri, Felix Mendelssohn Bartholdy, Francesco Feo, Gottfried August Homilius und Johann Adolf Hasse vor. Dazu kam die Einspielung mitteldeutscher Weihnachtskantaten aus der Sammlung der Fürsten- und Landesschule St. Augustin Grimma. Eine vielbeachtete Produktion mit geistlichen Werken Petr Ebens, Salve Regina, erschien 2013. Ein Jahr später reichte die Verlagsgruppe Kamprad die von zahlreichen Rundfunkanstalten vorgestellte CD An die Sterne. Schumanns Chorgesänge für Dresden aus dem Palais Großer Garten für den ECHO-KLASSIK ein. Außerdem wurde sie in die Longlist des Preises der Deutschen Schallplattenkritik aufgenommen. Beim Label Carus erschien im Mai 2015 die CD Motetten der Sammlung Hiller, eine Auswahl von Chorwerken überwiegend aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die ebenfalls für die Longlist des Preises der deutschen Schallplattenkritik nominiert wurde. Im selben Jahr wurden zudem ein Rundfunk-Mitschnitt des Passionsoratoriums Der Messias von Gottfried August Homilius und die Ersteinspielung des Weihnachtsoratoriums Jedem leuchtet ein Stern von Johannes Wulff-Woesten veröffentlicht.

Die neueste CD des Sächsischen Vocalensembles mit geistlichen Werken des argentinischen Komponisten Martín Palmeri wird zum Jubiläumskonzert am 16.November in der Dreikönigskirche präsentiert. Mit der Aufführung der Misatango – einer vom Tango Nuevo Astor Piazzollas inspirierten Messkomposition des Argentiniers darf als ein besonderes musikalisches Ereignis erwartet werden. Gemeinsam mit den Dresdner Kapellsolisten und dem Cuarteto Rotterdam bringt das Ensemble überdies die Dresdner Erstaufführung eines weiteren Chorwerkes von Palmeri zu Gehör – das »Gloria«, welches auch titelgebend für das Konzert ist. Diesen Kompositionen hat der Chorgründer Matthias Jung die Motette »Komm, Jesu, komm« von Johann Sebastian Bach zur Seite gestellt. Heidi Maria Taubert (Sopran), Annekathrin Laabs (Alt) und Clemens Heidrich (Bass) übernehmen die solistischen Partien. Zum Konzert wird der Komponist Martín Palmeri anwesend sein.

Der Musikwissenschaftler Matthias Herrmann schätzt ein, dass Dresden der eigentliche »Nutznießer« von Matthias Jungs vielfältigen künstlerischen Aktivitäten ist. Was bisher an Vielfalt der Programme und Stile zu erleben war, ist auch im internationalen Vergleich keine Selbstverständlichkeit. Wie sehr es ihm geglückt ist, dass sich sein Chor bis nach Japan einen Namen gemacht hat, wissen viele zu schätzen, wobei kaum zu erahnen ist, welche Anstrengungen erforderlich sind, um ein freies Ensemble bei wechselnder Besetzung dauerhaft in hoher Qualität zu halten. Dies wäre ohne die starke Persönlichkeit Jungs undenkbar, geprägt von Kontinuität und Offenheit, ja von der einzigartigen Klangintensität seiner Konzerte.

Anita Brückner

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