Kunst und Kultur befinden sich aufgrund der Corona-Pandemie in einer dramatischen Krise.
Und dennoch: Die derzeit wichtigste Pflicht der Kunst und Kultur ist zu helfen, dass die drohende Überlastung der Krankenhäuser und der massive Anstieg der Todesfälle durch das Coronavirus aufgehalten werden. Von daher erachten wir die Maßnahmen der Landesregierung für richtig. Die Schließung der Einrichtungen bis mindestens zum 28.02.2021 ist ein bitterer, aber erforderlicher Schritt. Er trägt der Planungssicherheit der Einrichtungen, dem Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genauso Rechnung wie der Erwartungshaltung des Publikums.
Zusätzlich zu den Bundeshilfen hat die Staatsregierung durch zahlreiche Programme, u.a. über die Kulturstiftung des Freistaates, vielfältige Unterstützung auf den Weg gebracht. Diesem ersten Baustein der Krisenbewältigung müssen jetzt weitere Schritte folgen. Die seit Monaten bestehenden Einschränkungen führen zu massiven Verwerfungen, die weit über die rein finanziellen Notlagen hinausgehen.
Die existentielle Krise der Kunst und Kultur in der Corona-Pandemie
Die Corona-Pandemie hat Kunst und Kultur in eine existenzielle Krise geführt. Befürchtungen aus dem Frühjahr haben sich manifestiert, zusammen mit sich verstetigenden Einschränkungen Folgen gezeitigt, die irreparabel zu werden drohen oder es bereits sind. Trotz Nothilfe sind künstlerische Entwicklungen, Berufsbiografien und ganze Lebensläufe existenziell betroffen. Unter Kunstschaffenden bricht sich Perspektivlosigkeit Bahn. Neben Ensemblekünsten sind die Konsequenzen für das künstlerische Schaffen im Amateurbereich und in den Schulen besonders dramatisch: In einer der wichtigsten Phasen der Entwicklung junger Menschen ist die künstlerische Bildung faktisch zum Erliegen gekommen und findet allenfalls im Erlebnis eines Streams statt, der das Live-Erlebnis jedoch nicht ersetzen kann, sondern in vielen Fällen nur ein Zerrbild emotionaler Begegnung mit Kunst ist.
Selbstverständlich gebietet die Verantwortung, getroffene Entscheidungen zu respektieren und zu unterstützen. Jedoch bedeutet diese existenzielle Krise langfristig auch eine Krise menschlichen Zusammenlebens, künstlerischer Werte, des schöpferischen Reflektierens und der kreativen Auseinandersetzung. Vom Sächsischen Musikrat wird eine Gesellschaft geistiger Armut befürchtet, deren einengender »Fokus allein auf die wirtschaftliche Effizienz des menschlichen Tuns … zur Entfremdung und Verrohung des Miteinanders« führt.
Die Politik sollte das Aufbegehren vieler Künstler weniger als einen Schrei nach Geld interpretieren, sondern als eindringlichen Appell nach einem sinnvollen Stufen- und Maßnahmenplan zur schnellstmöglichen Revitalisierung von Kunst und Kultur nach dem Lockdown. Die massiven Beeinträchtigungen der individuellen Entfaltung der Persönlichkeit müssen so schnell wie möglich beendet werden. Diskurse und Maßnahmen nach dem Lockdown bedürfen dringend einer Ausrichtung, die zu Respekt dem künstlerischen Tun und den Kunstschaffenden gegenüber führt, wie sie ihrer Bedeutung und auch Wahrnehmung in der Gesellschaft entspricht. Der existenziellen Krise muss mit Visionen, inhaltlichen Ermutigungen und konkreten Unterstützungen begegnet werden, die der weltweiten Wahrnehmung einer Kulturnation entsprechen.
Spartenübergreifender Dialog für einen stufenweisen Neustart
Der konsequente Shutdown eröffnet ein Zeitfenster für eine Situationsanalyse und die Entwicklung langfristiger Perspektiven. Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Klare Konzepte, wie der Umgang mit dem Virus ab März aussehen kann, sind daher die unverzichtbare Basis für die Akzeptanz der jetzt getroffenen Maßnahmen. Es gilt, die Ruhepause zu nutzen, um eine kulturpolitische Vision zu entwerfen, die zentrale Fragen im Umgang mit der Situation beantwortet. Welche negativen Folgen der Pandemie sind bereits absehbar? Welche Möglichkeiten gibt es, die Schäden zu minimieren? Wie können wir ein epidemiologisches Management etablieren, das den essentiellen Zugang zu Kunst und Kultur ermöglicht, der für eine demokratische und liberale Gesellschaft unverzichtbar ist?
Dabei wäre es wichtig, die Erarbeitung der Vision mit einem spartenübergreifenden Dialog zu begleiten. Die individuelle Betrachtung würde die Entwicklung eines mittelfristigen Fahrplans darüber ermöglichen. Wann und in welchen Teilbereichen können Kulturangebote wieder zur Verfügung gestellt werden? Welche Vorrausetzungen müssen dafür geschaffen werden und in welchem Umfang sind diese leistbar? So würde, verbunden mit der spartenspezifischen Analyse, ab welchen Inzidenzzahlen stufenweise Öffnungen umsetzbar sind, die erste Grundlage für ein Wiedereröffnungsszenarium gelegt. Ein breites Kulturangebot ist gleichzeitig ein Stück Normalität. Die Menschen erwarteten gerade jetzt, dass Kunst und Kultur ihnen dabei helfen, das Unbegreifliche zu reflektieren.
Bereiche der Kunst und Kultur mit statischen Vermittlungsmöglichkeiten wie Bibliotheken, Museen und Gedenkstätten haben bereits im Frühjahr bewiesen, dass durch Hygienekonzepte mit konsequenter Zugangsbeschränkung, eindeutiger Besucherlenkung und klarem Verhaltenskodex Besuchern trotz der Pandemie ein ungefährdeter Zugang ermöglicht werden kann. Schwieriger ist die Situation für alle Kultureinrichtungen, Künstler und Kulturschaffenden der veranstaltungsgetragenen Sparten. Aber auch hier wurden im Laufe der letzten Monate Hygienekonzepte erarbeitet, die bei niedrigen Inzidenzzahlen eine Wiedereröffnung erlauben würden, wenn auch mit deutlich geringeren Publikumszahlen.
Die Situation der Ensemblekunst im Lockdown
Besonders hart trifft die Schließung der Kultureinrichtungen die Ensemblekunst. Der Lockdown verwehrt vielen Künstlern den Zugang zu den Spielstätten. Ohne entsprechende Räumlichkeiten sind weder Proben noch die Produktion digitaler Vorführungen möglich. Ein Maler kann weitermalen, ein Schriftsteller weiterschreiben. Bei Orchestermusikern, Chören und Ballettcompagnien, auch beim Zusammenwirken von Solisten wie im Musik- und Sprechtheater, liegen die Dinge anders. Die Ensemblekunst lebt von der routinemäßigen Perfektion aufeinander abzustimmender Abläufe, die immer wieder durch persönliche Begegnungen gefestigt oder neu errungen werden. Deshalb braucht es praktikable, durchaus auch Grenzen erkundende Möglichkeiten, um den erforderlichen Probenbetrieb zu gewährleisten. Natürlich muss die Gesundheit der Beteiligten stets oberste Priorität haben. Doch gilt es, in Vorbereitung des Neubeginns das erreichte Qualitätsniveau zu sichern. Neben der materiellen Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern, die im Ensemble arbeiten, ist deshalb dreierlei erforderlich.
- Es ist zu prüfen, inwieweit Schnelltests und Impfungen für den Probenbetrieb zur Verfügung gestellt werden können.
- Es sollten Ensembleleiter oder Intendanten ermutigt werden, auf die Sicherung des erreichten Niveaus genauso hinzuarbeiten wie auf einen reibungslosen und überzeugenden Ensembleauftritt.
- Es dürfen Rundfunk und Internetkanäle gerade jetzt die Ensemblekunst nicht im Stich lassen. Unter Durchführung geeigneter Schutzmaßnahmen für alle an Regie, Technik und Zuarbeiten Beteiligten sind weiterhin Aufnahmen und Übertragungen von Ensembleproduktionen nicht nur zu ermöglichen, sondern anzuregen. Zum einen ist die Entwicklung neuer Formate als Ersatz für Präsenzveranstaltungen auch für das Publikum im Lockdown eine wichtige Alternative. Zum anderen gibt es keine bessere Methode, die künstlerische Qualität zu sichern, als stets wiederkehrende Anlässe, sich auf hohem Niveau zu präsentieren.
Fortsetzung und Weiterentwicklung der Hilfsprogramme
Die Staatsregierung hat zu Beginn der Pandemie zahlreiche Programme zur Unterstützung für Kunst und Kultur ins Leben gerufen, z.B. über die Kulturstiftung des Freistaates. Für diesen Rettungsanker sind Kultureinrichtungen, Künstler und Kulturschaffende sehr dankbar. Seit dem Frühjahr 2020 wurden kurz- und mittelfristige Hilfsprogramme von Bund, der sächsischen Landesregierung und den größeren Kommunen entwickelt, um die bestehenden Strukturen im Kulturland Sachsen zu sichern. Erfolgreich waren vor allem Programme, die einen schnellen und unkomplizierten Zugang ermöglichten, kurzfristig künstlerische Ideen unterstützten oder Zeit für Recherchen und künstlerische Prozesse ermöglichten. Für Künstlerförderung sind Stipendienprogramme von besonderer Bedeutung, die 2021 dringend weitergeführt werden sollten. Sinnvoll wäre die Ergänzung von Fortbildungsangeboten, z.B. für digitale Vermittlung, die Bezug nehmen auf die veränderten Rahmenbedingungen. Nach »Denkzeit« könnte nun eine »Entwicklungszeit« kommen, in der die eigenen Fähigkeiten erweitert und Konzepte für den Neustart entwickelt werden. Dabei sollten Stipendienvergaben auf haupterwerbliche Künstlerinnen und Künstlern konzentriert werden, die ihr Wirken und ihre Weiterentwicklung auch begründen können und wollen.
So gilt es auch in der Förderpolitik auf Langfristigkeit zu setzen und schon jetzt Programme zu entwickeln, die eine schnelle Aufnahme des Normalbetriebs in den Kultureinrichtungen ermöglichen und die bestehenden Strukturen stabilisieren. Besonders bei den kommunalen Kultureinrichtungen werden die Auswirkungen der Pandemie erst deutlich verspätet zum Tragen kommen. Genau wie bei den Hilfsprogrammen über die Kulturstiftung könnte hier die bestehende Förderarchitektur des Freistaats, wie das Kulturraumgesetz, genutzt werden, um zielgenau zu unterstützen. Der Entwurf einer klaren Zukunftsperspektive würde sowohl der Gesellschaft im Ganzen als auch den Künstlern und Kulturschaffenden die Sicherheit geben, dass die aktuelle Krise gemeistert werden kann.
Autoren: Christoph Dittrich, Manuel Frey, Ekkehard Klemm, Friederike Koch-Heinrichs und Werner Patzelt