Tabea Hundt stammt aus einer Leipziger Musikerdynastie, studierte Bratsche an der Dresdner Musikhochschule - und amtiert nun nach einigen Serpentinen auf ihrem Lebensweg als sächsische Weinprinzessin...
Da sage noch einer, Weinköniginnen und -prinzessinnen müssten bitte nur hübsch apfelbäckig aussehen und möglichst trinkfest sein. Wenn man einmal Gelegenheit hat, mit der sächsischen Weinprinzessin Tabea Hundt etwas länger zu sprechen – über einem Glas Weißwein, oder einfach so –, dürfte die freundliche Ignoranz solchen Titeln und Funktionen gegenüber still und beschämt der Hochachtung weichen. Hochachtung vor den Anforderungen ihres Amtes; aber noch mehr Bewunderung, wie sie ihren gewundenen Lebensweg unbeirrbar und gelassen geht. Tabea Hundt stammt aus einer Leipziger Musikerdynastie. Ihre Großmutter sang an der Leipziger Oper; ihr Vater ist - wie ihre Mutter - Gewandhausmusiker, und auch seine zehn Geschwister haben alle irgendwie mit Musik zu tun. Was blieb Tabea folglich anderes übrig, als mit fünf bei der Großmutter Klavierunterricht zu nehmen? Mit sieben fing sie zu geigen an und entschied sich mit elf Jahren, auf die Bratsche umzusteigen; erst an der Leipziger Musikschule. Und dann möglichst noch ein bisschen weiter weg vom strengen elterlichen Musikerblick: das Internat der Dresdner Musikspezialschule lockte!
Tonleitern, Doppelgriffe, Etüden
Vor zwanzig Jahren kam die sechzehnjährige Bratscherin nach Dresden und sagt heute: hier in Dresden brach mein zweites Leben an. Sie hatte Blut geleckt, wollte Musikerin werden, unbedingt. Tabea wurde "Übefanatikerin", wie sie es nennt, sie perfektionierte die Technik, Tonleitern, Doppelgriffe, Etüden, das ganze Programm. Ihre ersten Wettbewerbe liefen gut, ein Zweiter Platz bei "Jugend musiziert" sprang heraus, Tabea spielte im Bundes-, später im Europäischen Jugendorchester. Ihre Abschlussprüfung bestand sie mit Höchstpunktzahl. Die Karriere lockte und rief!Im ersten Studienjahr ein Bruch. Die Musikerin hat einen Blackout auf der Bühne, sie weiß nicht mehr, wie sie die Bratsche halten soll. Blitzartig stürzt ihr Selbstbewusstsein zusammen. Tabea denkt: ein Wechsel muss her. Sie geht nach Holland und studiert dort weiter. Erneut ereilt sie ein Schicksalsschlag: sie bekommt Krebs und muss lange pausieren. Schließlich entscheidet sie: Schluss aus! Ein halbes Jahr vor dem Examen hängt Tabea Hundt ihre professionelle Musikerkarriere für immer an den Nagel. Ihre Mutter lässt ihr Bedauern durchklingen, stärkt ihr aber den Rücken. Während der Vater sagt: "Das wirst du bereuen..."
Auszeit in 1293 Metern Höhe
Tabea jedoch fühlt: es gibt vielleicht noch mehr zwischen Himmel und Erde als Musik. Seit sie sechzehn ist, träumt sie, einmal auf einer Berghütte zu arbeiten. Jetzt scheint ein guter Zeitpunkt zu sein. In einer Bergsteigerzeitung liest sie eine Annonce, schreibt hin, sofort die Antwort: es geht los! Die junge Frau sieht es als Fügung. Ihr viertes Leben verbringt sie auf der Kaindlhütte im Naturschutzgebiet "Wilder Kaiser". Auf der einfachen Hütte, die seit hundert Jahren in Familienbesitz ist, melkt sie die Kühe, kümmert sich um die Gäste, ist Mädchen für alles.Dann fragt sie sich: wie soll es weitergehen? Tabea Hundt bewirbt sich für ein Psychologiestudium, wird abgelehnt. Sie macht eine Physiotherapie-Ausbildung, arbeitet eine Weile in einer Klinik in Baden-Württemberg, ihr Inneres sagt: das war nix. Du bist überfordert. Tabea sehnt sich nach Dresden zurück.
Eine Flasche Proschwitz, in der Dachrinne gekühlt
Sechs Jahre ist es jetzt her, da schlägt Tabea Hundt die Freitagsausgabe der "Sächsischen Zeitung" auf, liest von einer Geschäftseröffnung, eine Weinhandlung in der Nähe der Frauenkirche. Ihr Vorstellungsgespräch hat sie im Weinberg, erzählt davon, wie sie zu Internatszeiten ihren Freunden eine Flasche Proschwitz ("Für zwölf Mark!") servierte, heimlich in der Dachrinne gekühlt. Sie wird eingestellt.
Als ungelernte Quereinsteigerin wird sie in den Weinberg gescheucht, erschließt sich wieder ein neues Fachgebiet, macht bald Weinbergführungen. Sich mit ihren Chefs bei Blindverkostungen zu messen, wird zur vergnüglichen Herausforderung: Tabea hat einfach eine Nase für Wein (und erträgt den Hauswein beim Gespräch in einem Dresdner Café freundlich lächelnd).
2011 bekommt sie ihren eigenen Weinberg, achthundert Quadratmeter, in der Radebeuler Niederlößnitz. Auf dem "Minckwitzschen Weinberg" arbeitet sie, legt auch einen Rosengarten mit zwanzig seltenen Sorten an: "Die sind meine ganze Liebe...". Und auch Musik spielt wieder eine Rolle in ihrem Leben: in der "Tante Ju" hilft sie aus, entdeckt ihre Leidenschaft für Blues und Jazz.
Ja, und nun "plötzlich Prinzessin". Auf Messen traf Tabea Hundt die amtierenden Weinhoheiten der letzten Jahre, tauschte sich aus, die Winzer fragten sie, ob sie nicht auch einmal... Tabea dachte: das klappt sowieso nicht. Aber sie bewarb sich. Und wurde zur sächsischen Weinprinzessin 2012/2013 gewählt. Unzählige Termine hat sie seitdem abzuarbeiten, auf Weinfesten, Verkostungen, auf Messen, sie hält Vorträge vor teilweise hochkarätigem Publikum, vertritt die sächsischen Weine auf der Internationalen Tourismusmesse, auf der Grünen Woche. "In Sachen Privatleben muss ich einfach viele Abstriche machen", sagt sie, und fügt leise hinzu, dass sie die Zeit nach diesem Amtsjahr auch wieder zu schätzen wissen werde...
Denn Tabea Hundt hat auch wieder ein musikalisches Leben. Ihre Bratsche, ein in Dresden eigens nach ihren Vorstellungen gebautes Instrument mit sehr dunklem Ton, spielt sie bei Domvespern in Bautzen, hin und wieder bei der Sinfonietta Dresden, bei Advents- und Passionskonzerten, Kammermusik-Projekten - und auch zu Hausmusikabenden mit ihrer Familie. „Zehn Jahre hatte ich nicht das Bedürfnis, die Bratsche anzufassen. Aber ich glaube, dass eine Zeit kommen wird, wo ich vielleicht wieder mehr spielen kann…“
Tabea Hundts siebtes Leben scharrt schon leise mit den Hufen.
Martin Morgenstern