Interview |

Neues ermöglichen, flexibel sein, gesellschaftliche Veränderungen begleiten

musikinsachsen.de-Autor Dr. Martin Morgenstern sprach mit Johannes Schiel, dem stellvertretenden Stiftungsdirektor.

Johannes Schiel, seit nun schon dreißig Jahren fördert die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen Kunst- und Kulturaktive im ganzen Land. Von diesen dreißig Jahren sind Sie, momentan der stellvertretende Stiftungsdirektor und als Referent für Darstellende Kunst und Musik, Recht und Verwaltung zuständig, schon fast zwanzig Jahre an Bord der Stiftung … Und Sie haben auch biografisch einen musikalischen Hintergrund, richtig?

Ja, der stammt aus der Zeit im Dresdner Kreuzchor, dem ich von 1987 bis zu meinem Abitur 1995 angehörte. Ich bin gebürtig aus Südthüringen und kam als kleiner Junge mit zehn Jahren nach Dresden in den Chor. In diesem Alter tat sich für mich eine ganz andere Welt auf. Im Internat war ich zwar weit weg von zuhause; aber durch den Kreuzchor hatte ich das Privileg, eine gute musikalische Bildung zu bekommen. Schon damals gab es für mich als Sänger viel zu erleben: der Kreuzchor war ja viel in Sachsen unterwegs, im Erzgebirge oder in der Lausitz. Und wir lernten auch die große weite Welt kennen, was auf mich gerade zu DDR-Zeiten großen Eindruck machte. Auf den Kreuzchortourneen in die BRD, sogar nach Japan war ich dabei und bin auch sehr froh, dass ich diese Zeit damals erlebt habe. Im Kreuzchor verfolgten wir die politischen Entwicklungen der Wendezeit mit einem wachen Geist.

Bis heute ist es so, dass nur wenige Kruzianer nach ihrem Abitur tatsächlich einen musikalischen Karriereweg einschlagen. Sie sind der Kunst, der Musik ja beruflich zumindest nahegeblieben …

Ich hatte immer den Wunsch, mein Interesse für Kunst und Kultur, wenn irgend möglich, mit meinem Beruf zu verbinden. Ich wusste allerdings auch: wenn man in der Musik professionell und erfolgreich unterwegs sein will, muss man top sein. Deswegen war für mich relativ schnell klar: ich gehe auf ein anderes Feld. Ich habe mich für ein Jurastudium entschieden, jedoch auch dort geschaut, dass ich bei meinen beruflichen Stationen in den Bereich der Kunst und Kultur hineinschaue. Ich war im Referendariat in den Staatlichen Kunstsammlungen tätig sowie im Hochschul- und Kunstbereich im Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst. Dann hat es mich hierher in die Kulturstiftung verschlagen, übrigens erst im zweiten Anlauf. Es gab damals verschiedene Stellenausschreibungen, und meine zweite Bewerbung hat geklappt. Seit September 2005 bin ich nun dabei.

Ich glaube, solche Erwerbsbiografien – Abitur, Studium, und dann Jahre bis Jahrzehnte beim selben Arbeitgeber – dürften heute eine seltene Ausnahme sein.

Da haben Sie recht. Aber Kontinuität ist unserem Feld etwas sehr Wertvolles. Es braucht Zeit, um Vertrauen aufzubauen. Mir ist es wichtig, für unsere Projektträger und Partner ansprechbar zu sein. Gegenüber einer Behörde sollten sich keine zu hohen Hürden ergeben. Und bei der personellen Kontinuität kann ich auch die Brücke zum Sächsischen Musikrat schlagen. Mit den Mitarbeitern dort gibt es eine verlässliche, fachlich hochqualitative Zusammenarbeit, aber auch den kurzen Draht, den schnellen Austausch.

Wie haben sich die Schwerpunkte der Stiftungsarbeit während Ihrer bisherigen achtzehn Jahre am Haus verändert?

2005 war alles noch eine Nummer kleiner. Gerade die freie Kunst- und Kulturszene war noch längst nicht so ausdifferenziert und entwickelt, wie sie das heute ist. Das sieht man auch an den Antragszahlen. »Meine« Sparte, die Darstellende Kunst und die Musik, war schon immer die größte Sparte der Kulturstiftung, aber es gab damals maximal 110 Anträge im Halbjahr. Heute sind wir bei 160, 180 Anträgen. Anfang der Zweitausender war noch viel geprägt von der Aufbruchzeit der Neunziger, in der sich viele Vereine und Strukturen erst gegründet hatten. Sehr viele dieser Gründer prägten die kulturelle Landschaft Sachsens bis in die 2010er Jahre. Jetzt sehen wir einen Generationswechsel. Es gibt neue Ensembles und Strukturen, einige frühere Protagonisten sind nicht mehr dabei. Und vielleicht für die Musik gesprochen, war es so, dass die Anträge früher eher aus dem Bereich der klassischen Musik kamen: von Chören, Orchestern, dem Laienmusizieren. Jetzt sehen wir viel stärker den Bereich Jazz, Rock, Pop, der in die Antragsszene zu recht hineindrängt.

Ergänzend sehe ich auch einen Wandel in der Festivallandschaft: es gab 2005 deutlich weniger Festivals. Ich war beteiligt an der Entwicklung der Konzeptförderung. Wir hatten 2007 gemeinsam mit der Ostdeutschen Sparkassenstiftung eine Studie zu den Musikfestivals in Auftrag gegeben, damals gab es um die sechzig im Freistaat. Ich wage die These: diese Zahl hat sich bis heute verdoppelt. Ohnehin ist das ja ein Trend, der Titel »Festival« verkauft sich nach außen besser. Wir sehen hier deutlich mehr Anträge bei der Musik, aber auch im Bereich Theater und Tanz.

Wo liegen hier die Förderschwerpunkte der Kulturstiftung?

Es ist ein ganz wichtiger Eckpfeiler der Stiftungsarbeit, dass wir nicht nur das Etablierte fördern, sondern auch immer wieder Neuem Chancen einräumen. Das ist unseren Gremienmitgliedern wichtig, denen ich an dieser Stelle auch einmal ausdrücklich danken will. Um künstlerische Spitzenleistungen zu erzielen, braucht es auch immer ein breites Feld, einen Humus, der die Spitze vorbereitet. Deswegen ist die Förderung des künstlerischen Nachwuchses ein wichtiger Eckpfeiler. Wir unterstützen hier unterschiedlichste Vereine, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Ich bin immer beeindruckt von den Konzerten mit jungen Musikerinnen und Musikern. Da sieht man unbedingte Aufmerksamkeit, die Begierde, etwas umzusetzen, und diese Freude. Das ist ein großer Schatz. Die Jugendlichen sitzen auf der Vorderkante des Stuhls, und man merkt, wie sich ihre Spannung und Freude auf das Publikum überträgt. Diese Frische – das finde ich immer wieder toll.

Wir haben ja hier in Sachsen die Posaunenmission, Spezialensembles wie das Landesjugendzupforchester, aber natürlich auch die gute Arbeit des Sächsischen Musikrats bei »Jugend musiziert« und den Jugendensembles, wo wir flankierend tätig werden durch unseren Musikinstrumentenfonds. In ihm haben wir momentan fünfzehn Instrumente, die an begabte Kinder und Jugendliche vergeben werden können, die wir so auf ihrem musikalischen Weg begleiten können. Das ist eine schöne Facette der Arbeit. Wir haben darüber hinaus in der Chorlandschaft aber auch die Kinder- und Jugendchöre, die Knabenchöre. Aus dem Bereich entwickeln sich immer neue Ensemblestrukturen, man merkt, dass da immer wieder neues nachwächst, neue Ideen aufkommen. Das hält die Chorlandschaft lebendig und verhindert Verkrustungen. Eine wichtige Erkenntnis dabei: es gab immer das Vorurteil, Kultur finde nur in den urbanen Zentren statt. Mit dem Kleinprojektefonds, den wir mit Mitteln des Sächsischen Landtags entwickelt haben, haben wir erfahren: es gibt diese kleinen Initiativen in den kleineren Orten. Es gibt die Breite, damit sich irgendwann die Spitze entwickeln kann.

Wenn Sie nun einmal zurückschauen: Was waren die größten Herausforderungen für die Stiftungsarbeit in den letzten Jahren?

Die Coronapandemie war natürlich eine große Herausforderung für die Musikszene. Die vielen Veranstaltungen, Begegnungen waren nicht mehr erlaubt. Das war zu Beginn der Pandemie ein Schock, verbunden mit einer gewissen Lähmung, und dauerte bis zum Sommer 2020. Dann konnten wir über unsere »Denkzeit«-Stipendien Impulse in die Szene setzen: »Wie kann ich das Beste aus der Situation machen?« In der Folge war ich fasziniert, welche Ideen sich entwickelten, etwa neue Besucherkonzepte, die Besucherströme wurden entzerrt, da war eine große Kreativität da, und man hat sich umgesehen, was geht. So haben viele Veranstalter die Musik nach draußen verlegt, in den öffentlichen Raum. So haben einige vielleicht auch ein ganz neues Publikum auf sich aufmerksam machen können. Von daher würde ich die Pandemie nicht nur negativ, sondern auch als Chance sehen, neue Räume zu entdecken. Das Moritzburgfestival ging open-air, der Augustusburger Musiksommer ist aus der Kirche herausgegangen und machte Außenkonzerte, die super besucht waren. Jetzt sind wir in einer Phase der deutlichen Normalisierung. Die Impulse aber der letzten Jahre, die Abwechslung, das wird hoffentlich so bleiben und sich im positiven Sinne weiterentwickeln. Dadurch wird die Vielfalt im Freistaat größer.

Mich interessiert der Instrumentenfonds noch etwas genauer, nicht zuletzt als ausgebildeter Bratscher … Welche Streichinstrumente können sie den Stipendiaten da anbieten, sind das gestiftete Erbstücke oder Neubauten?

Bei uns war es zuerst der Impuls der Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Musikrat. Der hat über seine Regionalwettbewerbe, über »Jugend musiziert«, die Jugendorchester, das LJO oder die »LandStreicher« immer wieder hochbegabte Kinder und Jugendliche, die nicht das Instrument spielen, das ihrer eigentlichen künstlerischen Begabung entspricht. Um diese Lücke zu schließen, haben wir gesagt: wir bauen einen Fonds an Instrumenten auf, inzwischen fünfzehn an der Zahl, die wir leihweise für drei bis fünf Jahre zur Verfügung stellen können. In einem Alter, wo die Jugendlichen an der Schwelle von der Schule zum Studium stehen und ihre musikalische Karriere sozusagen in Stellung bringen, aber noch nicht die finanziellen Mittel für einen Instrumentenkauf haben, greift dieser Fonds und ermöglicht, eine professionelle Laufbahn einzuschlagen. Im Austausch mit dem Musikrat sichten wir dafür die Bewerbungen und vergeben zwei Geigen, zwei Celli, zwei Bratschen, einen Kontrabass. Aber wir haben auch Blechblasinstrumente, zwei Posaunen, ein Saxofon, ein Flügelhorn sowie ein Englischhorn, also auch Orchesterinstrumente, die nicht so häufig sind und die man sich nicht eben mal privat anschafft. Und: wir haben den Bau der Instrumente beauftragt! In Markneukirchen, aber auch darüber hinaus, die Mehrzahl stammt aus dem Freistaat. So fördern wir über den Fonds sowohl den Nachwuchs als auch den Musikinstrumentenbau. Er wird mit Augenmaß erweitert. Es gibt aktuell keine konkreten Pläne, wir richten uns hier nach den Bedürfnissen. Wenn uns weiterer Bedarf signalisiert wird, würden wir sicher über eine Erweiterung nachdenken.

Ja, kommen wir zum Blick nach vorn: Welche Schwerpunkte der Stiftungsarbeit sehen Sie in Ihrem Bereich in Zukunft?

Gute Frage. Der Blick in die Glaskugel fällt mir nicht leicht. Ich hätte Ihnen 2018 mit Sicherheit andere Schwerpunkte genannt, als sie dann gekommen sind. Meine Beobachtung ist, dass die Kunst und die Kultur durch verschiedene Programme während der Pandemie unter anderem auf Landesebene sehr gut unterstützt worden ist. Jetzt laufen diese Programme aus: im Freistaat Sachsen ist der Corona-Bewältigungsfonds ausgelaufen, "Neustart Kultur" wird Mitte des Jahres die Förderung einstellen. Die gesamte Branche steht nun vor der Herausforderung, dass wieder weniger Mittel zur Verfügung stehen. Es wird einen verstärkten Konkurrenzkampf geben, und ich hoffe, dass sich so mehr Kooperationen ergeben. Gerade Vereine, die Nachwuchsschwierigkeiten haben, sollten sich vielleicht zusammentun, um gemeinsam weiter Gutes bewirken zu können. Ob das so eintritt und erfolgreich funktioniert, werden wir in zwei, drei Jahren sehen können.

Als Konzertgänger und Galeriebesucher fällt mir auf: vieles in der Kulturlandschaft ist spontaner geworden, schneller, man probiert verschiedene neue Ansätze aus, experimentiert mehr. Wäre es da nicht eventuell, die starren halbjährlichen Antragsfristen zugunsten kürzerer Antragswege etwas zu verändern? Dass man die Möglichkeit, vielleicht auch mal ein Projekt zu fördern, dass man erst wenige Wochen vorher konzipiert hat?

Nun, zum einen gibt es die Bindung der Kulturstiftung an das sächsische Haushaltsrecht. Dort ist die Bindung an das Haushaltsjahr geregelt, was es immer schwierig macht, andere Verfahrenswege zu beschreiten. Diese zwei Antragstermine in der Projektförderung werden also sicherlich gesetzt bleiben. Im Bereich der Programmförderung sind wir aber sehr viel flexibler geworden. Bis sechs Wochen vor einer Veranstaltung kann man etwa einen Antrag beim Kleinprojektefonds einreichen. So werden Aktivitäten gerade im ländlichen Raum gestärkt, Schwellen beseitigt, es gibt hier keine starren Fristen mehr. In der Gastspielförderung ist das ähnlich, und hier wollen wir auch nachhaltiger fördern, so dass zum Beispiel geförderte Produktionen, die einmal entstanden sind, an anderen Orten wiederholt werden können. Auch hier gibt es keine starren Fristen für die Anträge. Das wird tatsächlich ein Schwerpunkt der Kulturstiftung werden, Neues zu ermöglichen, flexibel zu sein, gesellschaftliche Veränderungen zu begleiten.

Und das darf und soll nun dieser Tage gefeiert werden! Auf welche Programmpunkte der 30-Jahre-Feierlichkeiten dürfen wir gespannt sein?

Für unser Stiftungsjubiläum haben wir ein buntes Programm geplant. Es gibt einen Festakt für geladenes Publikum, aber ab den Nachmittagsstunden des 17. Mai laden wir alle zu uns in die Stiftungsgärten ein, bei einem bunten Kulturprogramm zu verweilen und in verschiedene geförderte Projekte hineinzuschnuppern. Auch das Team wird sich mit einer Aktion einbringen. Und am Abend gibt es um 19 Uhr eine Theaterproduktion, »Elfenbein«, die im letzten Jahr im »LOFFT« in Leipzig Premiere hatte. Sie setzt sich mit Erbstücken auseinander, die zur kulturellen Auseinandersetzung einladen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Johannes Schiel | Foto © Martin Morgenstern

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