Der Puppenspieler, Bühnenbildner und Maler Gottfried Reinhardt starb am 23. Juni 2013 im Alter von 78 Jahren in Dresden. Wer Gottfried Reinhardt bei einer seiner Puppenspiel-Aufführungen erlebt hat oder in seinem Heim im kleinen Dörfchen Obergruna besuchte, war fasziniert von einem sächsischen Künstler, der seinen eigenen Weg ging und sich in keine Schublade stecken ließ.
Er war uneitel, voller Humor, Wärme und Menschlichkeit, aber auch zornig gegenüber Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Von seinem Kasper musste man sich auch Sachen sagen lassen, die manchmal an die Schmerzgrenze gingen und zugleich wiederum zum Lachen herausforderten. Wenn man aber zu lange und zu laut lachte, dann hatte man bereits wieder etwas von des Kaspers Weisheiten verpasst. Als Gottfried Reinhardt anlässlich seines 70. Geburtstages im Jahre 2005 im Jägerhof die Ausstellung „Phantasie und Abenteuer“ gestaltete, verteilte er überall im Raum Kärtchen mit Texten, die ihm wichtig erschienen. Ständig kamen nun Besucher, die alles haarklein mitschrieben, um nichts zu vergessen. So wichtig war ihnen sein geschriebenes Wort.
Gottfried Reinhardt wurde 1935 in Dresden geboren. Er erlebte die Zerstörung der Stadt im Krieg, für ihn ein einschneidendes Erlebnis. Nach der Schule studierte er an der Technischen Universität Dresden Architektur. Ein Haus hat er allerdings nie gebaut, dafür aber phantastische Welten für Bühne und Trickfilm geschaffen. Für das DEFA-Studio für Trickfilme in Dresden schuf er zwischen 1963 und 1988 nicht weniger als 27 Ausstattungen. Darunter war auch der Klassiker „Die fliegende Windmühle“ von 1982. An den Stadttheatern in Freiberg und Görlitz war er als Bühnenbildner engagiert. Doch missfielen ihm die Eitelkeiten vor und hinter den Kulissen. Als Gast kehrte er aber immer wieder an diese Häuser zurück. Auch für Bautzen, die Dresdner Semperoper und das Volkstheater in Rostock arbeitete er immer wieder. In Rostock malte er für Ballettabende den Tänzern die Kostüme regelrecht auf den Leib.
Das Puppenspiel sollte aber zur großen Leidenschaft Reinhardts werden. Hier gab es keine Intendanten, Direktoren, Leiter, Regisseure und Dramaturgen, mit denen er sich herumärgern musste. Hier war er sein eigener Herr und niemandem Rechenschaft schuldig. Bereits 1964 hatte er für Fritz Gay Schattenfiguren entworfen und war auch bei der DEFA mit Handpuppeninszenierungen in Berührung gekommen. 1972 aber wurde zum Wendepunkt. Ein Besuch der Ausstellung zum Puppenspiel vom Dr. Faust der Puppentheatersammlung, in der auch Frieder Simon mit seinem Vater Gerhard eine Vorstellung gab, ließ den Plan einer eigenen Bühne reifen. Nach einigen wenig erfolgreichen Versuchen mit Marionetten baute sich Gottfried Reinhardt eine Handpuppenbühne, mit der er am Jahresende 1972 in der Schinkelwache erstmals vor ein geladenes Publikum trat.
Reinhardt bewegte sich mit seinen Puppen außerhalb der offiziellen Kulturszene. So waren Privatwohnungen, Ateliers und kirchliche Räume seine Spielstätten. Die Auftritte wurden bald legendär. Seine Puppenspiele wie "Elektra" (1972), "Iphigenie" (1973) und "König Ödipus" (1974) oder "Mord in der Elbe", "Ein Bankeinbruch" und "Die Fortsetzung der Oper Carmen" waren voller Anspielungen auf die Verhältnisse in der DDR und wurden von seinem Publikum dankbar und lebhaft aufgenommen. Im Laufe der Zeit entstanden 16 Puppenspiele, die in der Zwischenzeit auch alle gedruckt vorliegen. Da er bis dahin ohne Lizenz gespielt hatte, musste er sich zu Beginn der 80er Jahre als "Volkskünstler" einstufen lassen und erhielt das Prädikat "Mittelstufe sehr gut". Aber das war ihm gleichgültig.
Einige Jahre wirkte Gottfried Reinhardt als Atelierleiter am Staatlichen Puppentheater Dresden (ab 1990 Puppentheater der Stadt Dresden), für das er 14 Ausstattungen schuf. Legendär war im Herbst 1989 die „Antigone“-Inszenierung des Puppentheaters mit seinen Masken.
Aus einem evangelischen Elternhaus stammend, fand Reinhardt in der russisch-orthodoxen Kirche eine neue geistige Heimat. Er studierte ihre Liturgie und wurde schließlich Diakon der russisch-orthodoxen Gemeinde in Dresden. Auch als Maler und Grafiker hatte sich Gottfried Reinhardt einen Namen gemacht. Einige seiner Arbeiten sind gegenwärtig in der Kunstausstellung Kühl zu sehen. An der Eröffnung konnte er noch selbst teilnehmen. Nachdem Reinhardt aus gesundheitlichen Gründen den Spielbetrieb einstellen musste, schenkte er der Puppentheatersammlung einen großen Teil seines Fundus sowie zahlreiche Entwürfe zu Theater- und Puppentheaterinszenierungen. Schlaganfälle zwangen ihn schließlich zur Aufgabe seines Hauses in Obergruna, in dem er seit 1986 gelebt hatte. Noch schmerzlicher aber war es, dass er von seinen geliebten Katzen Abschied nehmen musste, die ihn lange Zeit begleitet hatten.
Gottfried Reinhardt wird seine letzte Ruhe in Dresden-Loschwitz finden, wo lange seine künstlerische Heimat war.
Lars Rebehn