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Mit 70 noch Enfant terrible

Zweifellos, Peter Konwitschny hat Operngeschichte geschrieben. Als eine der markantesten und prägendsten Gestalten der neueren Opernregie hat er dem modernen Regietheater auf der sächsischen Opernbühne zum Durchbruch verholfen.

Dabei hat Konwitschny weder die Auseinandersetzung mit der allzu selbstverständlichen, vermeintlich »werkgetreuen« Tradition, noch den handfesten Skandal gescheut. Er gilt als das enfant terrible der Opernszene, und Konwitschny hat mit seinen Arbeiten, Publikum und Kritiker gleichermaßen zu Jubelstürmen und Buh-Konzerten hingerissen. Seine Regie steht im Zeichen einer unerbittlichen und zuweilen unbequemen Wahrheitssuche, die auch, oder gerade, vor der Opernbühne nicht halt macht: Auch die Oper ist ein Ort der engagierten Kontroverse, des Einspruchs, sie ist nicht nur eine repräsentative, sondern wie das Sprechtheater, eine »moralische Anstalt«. In einem Interview meinte Konwitschny einmal: »Kunst darf sich nicht in sich erschöpfen, indem am Ende alle begeistert sind, weil es so schön aussah. Es muss etwas in die Gesellschaft zurückwirken. Ein Impuls, etwas zu verändern. Dieser Widerhaken muss angebracht werden.«

So ist er denn mit wachem Spürsinn für die Aporien und Fallstricke der Opernstoffe an seine Stücke herangegangen, um in ihnen eine andere, verdrängte Wahrheit freizulegen und Impulse für gesellschaftliche und politische Reflexionen zu setzen: angefangen mit den seinerzeit bahnbrechenden Händel-Inszenierungen der 80er Jahre in Halle, über seine Interpretation einschlägiger Werke der Moderne, wie Wagner-, Schönberg- und Berg-Inszenierungen ab 1998 in Hamburg, bis hin zu seinen Verdi-Deutungen und des italienischen Repertoires in Graz.

»Eine meiner schönsten Inszenierungen überhaupt«

Mit der Musikwelt in Sachsen hat Konwitschny eine etappenreiche und an Erfolgen wie an Reibungen durchaus gesättigte Verbindung. 1945 als Sohn des Dirigenten Franz Konwitschny geboren, der in den 50er Jahren als Gewandhauskapellmeister zu legendärem Ruhm kam, ist Peter Konwitschny in Leipzig aufgewachsen. Dem Regiestudium in Berlin, der Assistenz am Berliner Ensemble unter Ruth Berghaus und der Station am Landestheater Halle folgt ab 1985 eine internationale Karriere mit Produktionen an fast allen großen Opernhäusern der Welt.

Für Dresden inszeniert er 1997 einen »Tannhäuser«, der nachhaltig im Gedächtnis bleibt, in Leipzig u.a. Bartóks »Herzog Blaubarts Burg« und Schönbergs »Erwartung« (1992), Tschaikowskis »Eugen Onegin« (1995) und Jörg Herchets »Abraum« (UA 1997). Von August 2008 bis Ende 2011 war Konwitschny zudem Chefregisseur der Oper Leipzig und brachte einige denkwürdige Inszenierungen heraus, so u.a. »Pierrot lunaire« nach Schönberg, Luigi Nonos »Unter der großen Sonne von Liebe beladen«, einen »Lohengrin«, sowie mit »Alkestis« und »Iphigenie in Aulis« mehrere Beiträge zu einer möglichen Gluck-Renaissance. Nach nicht bestätigten Meldungen waren es die Neubesetzung der Intendanz mit Ulf Schirmer und unüberbrückbare Differenzen in der künftigen Ausrichtung des Hauses, die zu Konwitschnys vorzeitiger Vertragskündigung führten.

Denkwürdiger Höhepunkt in der nicht gerade kurzen Liste an Theaterskandalen dürfte immer noch die Dresdener Inszenierung der »Csárdásfürstin« (1999) sein, jener Kálmán-Operette, deren eskapistische Fröhlichkeit zum Silvesterprogramm Konwitschny, angesichts der Kriegsnähe der Entstehungszeit 1915, gründlich gegen den Strich bürstet. Sinnfällig verlegt er das Geschehen in einen Schützengraben des Ersten Weltkriegs, in ausgebombte, zerstörte Hotels, die Protagonistin tanzt im Walzertakt mit einer Soldatenleiche mit abgerissenem Kopf. Konwitschny selbst meinte dazu: »Man kann eine Welt, die kaputt geht, nicht draußen lassen«. Doch dem Premierenpublikum in der Semperoper war das zuviel. Nach Streichung mehrerer Szenen durch den damaligen Intendanten, Christoph Albrecht, und Konwitschnys gerichtlich erwirkter Verfügung gegen die zensierte Kurzfassung, war der Faden gerissen. Später kommentiert Konwitschny die Ereignisse so: »Die "Csárdásfürstin" war eine meiner schönsten Inszenierungen überhaupt. […] Ich war gern in Dresden. Und die sind traurig dort, dass es vorbei ist.« Bei einer Wiederaufführung der Produktion Anfang 2010 an der Grazer Oper hatte die Regie die Gemüter kaum noch erregt.

Nachdem es in den letzten Jahren, seit seinem Weggang aus Leipzig, etwas ruhiger um den vielumstrittenen Regisseur geworden ist, hat Konwitschny jetzt seinen 70. Geburtstag gefeiert, gewissermaßen als lebende Legende. Man kann aber sicher sein, dass er sich auf diese Rolle kaum freiwillig zurückziehen wird. Ihm ist die Kraft zu wünschen, im repräsentations- und regressionsgefährdeten Opernbetrieb mit seinen Arbeiten weiter engagiert einsprechen zu können und theatrale »Widerhaken« anzubringen.

Aron Koban

Peter Konwitschny Peter Konwitschny
Foto: Andreas Pohlmann

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