musikinsachsen.de-Mitarbeiterin Christina Schimmer sprach mit Prof. Dr. Dirk Mürbe, Direktor der Klinik für Audiologie und Phoniatrie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und langjähriger Leiter des Studios für Stimmforschung an der Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber« Dresden. Prof. Mürbe hat parallel zu seinem Medizinstudium ein künstlerisches Diplom im Fach Gesang erworben.
Sie sind Arzt und diplomierter Sänger. War es schwierig, sich zwischen beiden Berufen zu entscheiden?
Schon als Jugendlicher wollte ich Phoniater werden. So eine Entscheidung ist immer mit prägenden Persönlichkeiten verbunden. In meinem Fall war das die Bekanntschaft mit Prof. Dr. Jürgen Wendler. Er hat ein Standardwerk für unser Fachgebiet geschrieben war mein Vorgänger hier an der Charité. Es ist einfach ein toller Beruf, der meine Fachrichtung mit der Musik verbindet.
Sie haben also zuerst mit dem Studium der Medizin begonnen?
Ich hatte bereits zwei Jahre Medizin studiert und als Student an der der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden (HFMDD) gefragt, ob ich im Studio für Stimmforschung mitarbeiten könne. Das Studio war mir wohl bekannt. Ich startete mit einem kleineren Projekt, habe dann weitere Aufgaben übernommen und mich dann entschieden, parallel zum Medizinstudium ein Gesangsstudium aufzunehmen.
Das Studio für Stimmforschung wurde 1959 gegründet und war weltweit das erste und lange das einzige seiner Art. Was wurde und wird damit bezweckt?
Bei der Gründung war die Intension, Studierenden Beratung und Orientierung zu geben. Wir sprechen hier vom klassischen Gesang. Der wissenschaftliche Ansatz versprach Objektivität. Die Lehre ist eine Dienstleistung für die sängerische Entwicklung, ein Verdichten von Didaktik und Methodik. Wir können mit den Ergebnissen individuell beraten und die wissenschaftliche Auswertung dient wiederum der Forschung.
Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Es gibt z.B. verschiedene Stimmgattungen, die Größe des Kehlkopfes spielt hier eine Rolle. Mit Messungen können individuelle Strategien für den jeweiligen Studierenden entwickelt werden. Es geht also um Didaktik, Lehrforschung, um eine Forschung, die anwendungsbezogen ist und daraus resultierend um individuelle Beratung. Es ist eine sensationelle Arbeit, die auf einem wissenschaftlichen Fundament steht.
Sie selbst betreuen das Studio als wissenschaftlicher Leiter, wer ist noch eingebunden?
Wir sind ein Team von Enthusiasten: Prof. Zabel, Professor für Gesang sowie Studiendekan Gesang, zwei ärztliche Kollegen und eine Logopädin betreuen mit mir zusammen das Studio, es werden Messungen durchgeführt und ausgewertet. Durch direktes Zusammenwirken von Phoniater, Student/-in und dem Gesangspädagogen können mögliche Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt werden. Der Lehrer oder die Lehrerin wird mit eingebunden und kann dann gemeinsam mit dem Studierenden gezielter arbeiten und die Entwicklung eng begleiten. Um ein Missverständnis aber gleich vorweg zu nehmen: Das Studio für Stimmforschung ersetzt keine Praxis und nicht die Klinik.
Werden Ergebnisse aus dem Stimmstudio mit in die Lehre eingebunden?
Es gibt die Vorlesung Stimmphysiologie und im Curriculum Klanganalyseverfahren. Diese Seminare bieten einen Einblick in die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens in der Stimmforschung. Es geht u.a. um die Darstellung von Stimmklanganalysen, die Deutung des Klangspektrums und methodische Schlussfolgerungen. Die Verknüpfung Stimmstudio und praktische Arbeit mit den Gesangsstudierenden ist auch heute noch etwas Besonderes und wirklich Einzigartiges.
Hilft Ihnen die sängerische Ausbildung in Ihrer Arbeit als Arzt?
Sängerinnen und Sänger müssen über ihr ganzes Berufsleben hinweg hohe Anforderungen erfüllen, außerdem verändert sich die Stimme mit den Jahren. Mein sängerischer Werdegang hilft mir in der Medizin sehr, denn ich kann die Höchstleistungen, die Belastungsinhalte von Sänger/-innen gut beurteilen, kann die Sorgen und Nöte sehr gut nachvollziehen. Die Charité ist ein Brennpunkt der Wissenschaft, ein Schwerpunkt der Ausbildung mit Schnittstellen zu meinem musischen Hintergrund. Das befruchtet sich gegenseitig. Interna des sängerischen Alltags sind mir vertraut, das ist ein großer Schatz für meine Arbeit.
Wir haben nun so viel über die Stimme gesprochen: Ist sie eigentlich ein Instrument?
Die Stimme ist eines der faszinierendsten und facettenreichsten Instrumente. Sie produziert Klang, der für das Singen nutzbar ist. Sie ist in unserem Körper, man kann sie nicht irgendwo ablegen. Sie überträgt Emotionen, hat eine große Bandbreite an Tönhöhen und wird auf der ganzen Welt eingesetzt – von acht Milliarden Menschen. Die Stimme verbindet und überwindet Grenzen: Sie ist das älteste Instrument der Welt.
Vielen Dank für das Gespräch!