Die Neue Musikzeitung nmz berichtet in ihrer Oktober-Ausgabe über die Diskussion bei Jugend musiziert, was die Größe und die Finanzierung des Bundeswettbewerbs betrifft. Genau vor einem Jahr wurde in einer repräsentativen Festveranstaltung in der Philharmonie Berlin das Doppeljubiläum 70 Jahre Deutscher Musikrat und 60 Jahre Jugend musiziert gefeiert. Hohe Anerkennung und beste Reputation für den Wettbewerb, gerade auch von den Spitzen der Politik. Völlig überraschend und unverständlich dann keine sechs Monate später einschneidende Finanzierungengpässe beim Bundeswettbewerb in Lübeck. Lediglich zwei Fachjuroren in Kategorien mit hochqualifizierten Teilnehmern. In einem künstlerischen Wettbewerb ein systemisches Eigentor!
Theo Geißler umreißt auf Seite 1 in der ihm eigenen pointierten und treffenden Diktion die Thematik. Im Innern dann zwei von Andreas Kolb geführte sehr ausführliche Interviews mit Torsten Tannenberg, Geschäftsführer des Landesmusikrates in Sachsen und bestens mit den Eigenheiten des Wettbewerbs auf allen Ebenen vertraut, und dem Präsidenten des Deutschen Musikrates, Professor Martin Maria Krüger.
Im Folgenden können Sie alles nachlesen.
Kultur-Kampf
Editorial von Theo Geißler
Eigentlich könnte man Freudentanzen, Kadenzen zaubern oder Hits trällern: Der Bundeswettbewerb »Jugend musiziert« platzt – was die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer betrifft, aus allen vorgegebenen Nähten. Die Zahl der in den Bundesländern auserlesenen und für den Zentralevent weitergeleiteten Spitzen-Interpretinnen und Interpreten wächst auch im Verbund mit der Zahl neu hinzugekommener Wertungssparten. Vorgegeben freilich ist alljährlich das Finanzierungskorsett, ein Patchwork zahlreicher privater, kommunaler oder ministerieller Zuwendungen.
Auch wenn Musikratspräsident Martin Maria Krüger als Chef der Träger-gGmbh im nmz-Gespräch es unfair findet, am materiellen Engagement der Finanzierung speziell durch die Politik rumzukritteln, führen schrumpfende Etats der das Treffen der musikalischen Spitzentalente veranstaltenden Kommunen, steigende Gehälter des festangestellten Orga-Teams und unter Sparzwängen darbende Ministerien zu schmerzlichen und kulturell teils sehr ungesunden Überlegungen: Nach einem noch zu definierenden Schlüssel, den Regional- und Landeswettbewerben eine Obergrenze für die zur nächsthöheren Kategorie Zugelassenen vorschreiben? Die Zahl der hochkompetenten und ohnedies schwach entschädigten Jurorinnen und Juroren drastisch verringern und Zeit und Kosten sparen, indem man die pädagogisch wirklich wertvollen Beratungsgespräche nach den Wertungsspielen gänzlich abschafft? Ökonomische Unausweichlichkeiten? Logistikkosten durch Unterbringung in Zeltlagern und Verköstigung dank wahlweise fleischlich oder vegan gefüllter Gulaschkanonen für alle Beteiligten radikal runterfahren?
Nur Letzteres war nicht ganz ernst gemeint. Als Geschäftsführer des Landesmusikrates Sachsen, Träger des dortigen Landeswettbewerbs, liefert Torsten Tannenberg Argumente und Überlegungen, die in teils kompromisslosem Dialog aller verantwortlich Beteiligten die Fortexistenz von »Jugend musiziert« gewährleisten. Kompromisslos, weil die Qualität dieser zentralen Maßnahme kultureller Jugendbildung nicht beschädigt werden darf. Kompromisslos, weil eine durch Ökonomie- und Technikhörigkeit verbogene Politikergeneration unser kulturelles Leben durch Faschingsprinzen-Niveau oder Hänsel-und-Gretel-Kompetenz nicht ruinieren darf.
»Wir müssen das Ganze beherrschbar machen«
Ab diesem Oktober sind alle Kinder und Jugendlichen, die als Solistinnen und Solisten oder im Ensemble ihr musikalisches Können auf einer Bühne zeigen möchten, eingeladen sich für die 62. Ausgabe des Bundeswettbewerbs Jugend musiziert in Wuppertal zu bewerben. Zu den Neuerungen und Fragen bezüglich des Wettbewerbs unterhielt sich Andreas Kolb, Chefredakteur der nmz, mit Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrats.
neue musikzeitung: 1963 wurde der Wettbewerb Jugend musiziert gegründet, um Nachwuchs für deutsche Orchester zu fördern. Welche Aufgaben hat der Wettbewerb heute, 61 Jahre später?
Martin Maria Krüger: Die Aufgaben sind natürlich sehr viel weiter gefasst. Wir sehen Jugend musiziert als das bedeutendste Förderprojekt für musikalische Bildung außerhalb des institutionalisierten Bildungssystems. In seiner Breite ist Jugend musiziert weltweit einzigartig: Heute reicht das weit über die Orchesterinstrumente, Klavier und Gesang hinaus, bis hin zu Instrumenten wie der Baglama oder zu Möglichkeiten wie Jumu Open oder den Pop-Kategorien. Jugend musiziert ist auch ein gesellschaftspolitisches Statement unter den Aspekten Integration, Migration und kultureller Vielfalt. Gleichzeitig reicht Jugend musiziert bis in die absolute Spitze, die dann in die Professionalität und im Einzelfall in absolute künstlerische Höhen führt.
nmz: Beim Bundeswettbewerb 2024 kursierten Stichworte wie Kontingentierung, Finanzierungsvorbehalte von Seiten der Jumu-Bundesebene und Sparmaßnahmen. Was ist dran, was sind die Ursachen?
Krüger: Es ist nicht fair zu sagen, dass zu wenig Geld da ist. Unsere Geldgeber, das Bundesfamilienministerium und der Deutsche Sparkassen- und Giroverband, waren gerade für 2024 wirklich großzügig. Auch das Land NRW und die Stadt Wuppertal, wo der der nächste Wettbewerb durchgeführt wird, wollen uns vorbildlich unterstützen und in die Lage versetzen, einen würdigen, interessanten und spektakulären Bundeswettbewerb zu gestalten. Dieser Bundeswettbewerb muss für alle, die dort antreten, zu einem Erlebnis werden. Es geht aber auch um Förderung: Die kann nicht nur darin bestehen, dass man anreist, vorspielt und wieder abreist. Dazu gehören auch die Möglichkeit und das Stimulans zur Begegnung. Dazu gehören vor allen Dingen eine Jury in ausreichender Größe und durchgängig das Angebot von validen Beratungsgesprächen. Diese Dinge waren in den letzten Jahren definitiv nicht mehr gesichert. Wir hatten in Lübeck 2024 die Situation, dass teilweise Vorspiele in Räumen stattfanden, in denen nicht einmal Publikum teilnehmen konnte, weil sie ganz einfach zu klein waren. Wir hatten Jurys von nur drei Jurorinnen und Juroren. Wünschenswert wären fünf. 2025 werden wir auf jeden Fall mindestens vier in den einzelnen Jurys haben.
nmz: Es ist offensichtlich, dass Corona den Wettbewerb durcheinandergewirbelt hat. Aber warum sind diese Defizite entstanden, von denen Sie sprechen?
Krüger: In den letzten zirka 15 Jahren ist die Teilnehmerzahl, das heißt die Zahl der Weiterleitungen von Landes- auf Bundesebene, dermaßen hoch geworden, dass das nicht mehr zu beherrschen war. Wenn auf einem Instrument in einer einzigen Altersstufe so viele erste Landespreisträgerinnen und -preisträger zum Bundeswettbewerb weitergeschickt werden, dass wir zwei Jurys brauchen, um diese eine Altersstufe in einer ganzen Woche Wertungstätigkeit von morgens bis abends zu bewerten, dann kann man nicht mehr sagen, dass das der ursprünglichen Intention dieses Wettbewerbs und letztlich der Wertungsgerechtigkeit dienlich ist. Wir müssen gemeinsam mit Regionen und Ländern Wege finden zu einem Modus, der vernünftig und beherrschbar ist und vor allen Dingen auch zu einem guten Ergebnis führt.
nmz: Der Modus ist festgelegt. Alle Wertungen stehen unter Finanzierungsvorbehalt und es werden nur Preisträger mit 24 und 25 ganz sicher weitergeleitet. Wer nur 23 Punkte erspielt, muss zittern?
Krüger: Zunächst ist zu sagen: Der Aufsichtsrat unserer DMR gGmbH hat festgestellt, dass die finanzielle Handlungsfähigkeit und Solidität der Gesellschaft gesichert sein muss, damit nicht eine Situation entsteht, die in eine Insolvenz führen kann. In diesem Aufsichtsrat sitzen auch alle unsere wesentlichen öffentlichen Geldgeber. Grenzen wie Finanzierungsvorbehalte einzuziehen, ist jedoch nur eine allerletzte Option. Wir gehen davon aus, dass wir sie im nächsten Bundeswettbewerb gar nicht wirksam werden lassen müssen. Vorbehaltlich der endgültigen Finanzierung liegt sie voraussichtlich bei 1.250 Wertungsvorgängen. Das ergibt eine Zahl von Teilnehmenden, die tendenziell über 2.000 liegen wird.
Wir hoffen die Einhaltung des Rahmens allein schon dadurch zu erreichen, dass einvernehmlich mit den Ländern verabredet wurde, dass erste Landespreise weiterhin ab 23 Punkte vergeben, aber erst ab 24 Punkten für den Bundeswettbewerb nominiert werden. Die einzige Differenz, die im Moment besteht zwischen Bund und Ländern, ist, dass die Länder sagen, die Weiterleitung muss dann aber eine Automatik sein, denn wir werden eure Zahl gar nicht mehr erreichen, wenn wir in den Statistiken der letzten Jahre sehen, wie viele 23-Punkte-Wertungen normalerweise da sind.
nmz: Jugend musiziert ist auch föderal aufgebaut. Wäre das eine Lösung, dass man sagt, man nimmt die Länder finanziell mehr in die Pflicht?
Krüger: Das ginge tatsächlich nicht. Es wäre auch nicht fair, da jede Ebene, nämlich die Regional-, die Länder- und die Bundesebene, jeweils ihre Wettbewerbe selbst finanzieren muss. Man muss sogar ehrlich zugeben, dass manche Länder immer wieder angemerkt haben, mit der Vielfalt der Kategorien teilweise inzwischen auch Finanzierungsprobleme zu haben.
Auf der letzten Zentralkonferenz Ende September 2023 ist man sich einig geworden, dass man in Arbeitsgruppen den Wettbewerb anschaut, damit man Reformbedarfe erkennen kann. Mehrheitlich ist man sich darin einig, dass der Wettbewerb, pauschal gesagt, zu groß geworden ist auf der Ebene des Bundeswettbewerbs. Die Frage ist nur, was man unter der Größe versteht: die Menge der Kategorien oder die Zahl der Teilnehmenden oder die Zahl der Wertungsspiele? Das müssen wir miteinander klären.
nmz: Alles wird teurer. Was hat das für Jugend musiziert für Folgen?
Krüger: Von 2018 bis 2025 ist insgesamt eine Kostensteigerung von knapp 25 Prozent eingetreten ohne dass dem eine entsprechende Erhöhung von Geldgeberseite gegenübersteht. Hinsichtlich der reinen Personalkosten haben wir sogar eine über 60-prozentige Kostensteigerung. Es gab aber auch Einsparungen, insbesondere durch den Umzug der Geschäftsstelle.
nmz: Welche Ergebnisse hat das letzte Gespräch mit Familienministerin Lisa Paus gebracht?
Krüger: Das Problem ist, dass der Kinder- und Jugendplan ein starrer Rahmen ist, in den alle Projekte der Kinder- und Jugendförderung eingehen, die in den Bereich kulturelle Bildung im weitesten Sinne fallen, auch bis in den sportlichen Bereich. Das sind ja sehr viele Verbände, die da segensreich arbeiten. Dieser Rahmen wird durch den Bundestag pauschal bereitgestellt. Das bedeutet, dass das Ministerium mit dem Geld, das es hat, haushalten muss und schauen muss, wie es alle alimentiert. Das bedeutet auch, wenn an einer Stelle Geld dazukommt, muss es an anderer Stelle, und das heißt immer an bedürftigen Stellen, weggenommen werden. Eine Lösung für eine erhebliche Aufstockung bei Jugend musiziert, wie wir sie uns wünschen würden, wäre demnach nur dann realistisch möglich, wenn entweder der Kinder- und Jugendplan insgesamt erheblich aufgestockt würde, oder wenn unsere Jugendprojekte, oder mindestens Jugend musiziert, aus dem Kinder- und Jugendplan herausgenommen und mit einem eigenen Haushaltstitel versehen würden, was derzeit nicht diskutiert wird.
nmz: Gibt es zu diesen Fragen weitere Gespräche auf der Ebene Präsident/Ministerin?
Krüger: Die gibt es schon. Ich muss ausdrücklich sagen, dass ich mit Frau Paus bereits mehrere Begegnungen hatte, die sehr herzlich verlaufen sind, von ihrer Seite her mit großer Aufmerksamkeit. Sie war 2023 beim Bundeswettbewerb in Zwickau. Sie kam am 3. September zum Konzert des Bundesjugendorchesters in die Gedächtniskirche in Berlin. Damit setzt die Ministerin wichtige Zeichen. Wir haben auch tatsächlich nachträglich eine leichte Erhöhung für dieses Jahr erhalten und die Fortschreibung für nächstes Jahr in Aussicht.
nmz: Was für Möglichkeiten der Finanzierung gibt es, was für Spielräume?
Krüger: Vor drei Monaten hat der Deutsche Musikrat eine Stiftung an den Start gebracht, die langfristig eine wesentliche Unterstützung bringen soll, zusätzlich zu den jährlichen öffentlichen Geldern. Das heißt, jeder und jede in Deutschland, die oder der bereit ist und willens, Geld für musikalische Projekte zu stiften, kann zielgerichtet an Jugend musiziert Geld stiften, auch vererben. Ein Vermächtnis haben wir bereits erhalten, für das Bundesjugendorchester.
nmz: Es gibt Stimmen, die sagen, der Musikrat ist kulturpolitisch manchmal zu zurückhaltend, zu wenig offensiv.
Krüger: Die Arbeit an der musikpolitischen Front wird natürlich im täglichen Geschäft überwiegend von unserer Generalsekretärin Antje Valentin durchgeführt. Das hat auch ihr Vorgänger, Christian Höppner, 20 Jahre herausragend getan. Gespräche und Begegnungen mit Politik finden regelmäßig statt. Ein gewisser Druck wird auch von der Politik erwartet, denn sie reagiert auf gesellschaftliche Bedürfnisse. Wenn die nicht erkennbar sind, wird nichts geschehen. Es ist uns ganz gut gelungen, in diesen Jahren gesellschaftspolitische Bedürfnisse musikpolitisch umzusetzen. Grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass im kritisch-konstruktiven, ständigen Dialog mit der Politik auf Dauer das richtige Vorgehen liegt. Erfolge erzielt man nicht vorrangig über Presse und öffentliches Politiker-Bashing.
Dass es heute den Musikfonds gibt, hat ganz wesentlich damit zu tun, dass jahrelang vorher der Musikrat darauf hingearbeitet hatte. In der musikalischen Bildung ist es sehr viel schwieriger. Da hat der Bund nämlich selber wenig Einflussmöglichkeiten. Die musikalische Bildung entscheidet sich in den Ländern. Der Deutsche Musikrat ist im Bereich der Bildung nur stark im Zusammenwirken mit den Landesmusikräten, die tatsächlich am Puls ihrer Länder und Landesregierungen sitzen.
nmz: Sie sind auch Vorsitzender des Musikfonds. Gerade hier soll in Zukunft gespart werden, oder?
Krüger: Die geplante Reduzierung betrifft alle Bundesfonds, nicht nur den Musikfonds. Der Plafond, den man seitens der Bundesregierung für 2025 vorgesehen hat, ist zwar höher als er vor Corona gewesen war, jedoch um 40 Prozent niedriger als das, was wir 2024 zur Verfügung haben und was man uns für 2025 in Aussicht gestellt hatte. Darauf fußten natürlich auch neue Projektschienen, die dann schon nach einem Jahr wieder eingestampft werden müssen. Das ist ein großes Problem für die freie Szene. Wir sehen, dass der Bereich Film etwa 20 Millionen Euro mehr zugesprochen bekommen hat in diesem Haushaltsentwurf, 24 Millionen weniger dagegen insgesamt der Bereich der allgemeinen Musikförderung. Der Amateurmusikfonds soll beispielsweise von 4,6 Millionen auf eine gekürzt werden. Das ist natürlich dramatisch und muss benannt werden. Auf der Ebene der Staatsverwaltung ist das bereits gelaufen. Es geht jetzt nur noch unmittelbar über den Bundestag, der in seiner Bereinigungssitzung im November sich diesen Haushaltsentwurf insgesamt nochmals vornehmen wird.
nmz: Ist Ihrer Meinung nach die Doppelstruktur aus e.V. und gGmbH die bestmögliche?
Krüger: Ich sehe die Struktur des Deutschen Musikrats definitiv nicht als Hindernis für schnelle Entscheidungsfindung. Im Gegenteil: Eine ganze Menge Entscheidungen können unmittelbar in der gGmbH getroffen werden, für die man früher beim e.V. immer Gremienentscheidungen benötigt hätte. Wir haben 13 Projekte in der gGmbH, Jugend musiziert ist das größte und bekannteste. Insgesamt läuft es gut. Wenn wir sehen, was Ulrike Lehmann für eine Projektleiterin ist, was Ulrich Rademacher für ein Beiratsvorsitzender ist, wenn wir sehen, was Stefan Piendl für ein Geschäftsführer der gGmbH ist, vorher ehrenamtlicher Vizepräsident der JMD, einer Gründungsorganisation von Jugend musiziert – von der Qualität und der Begeisterung der handelnden Personen her könnte das nicht besser aufgestellt sein.
nmz: Früher war alles besser?
Krüger: In den ersten elf Jahren des Bundeswettbewerbs gab es pro Kategorie und pro Altersstufe nur einen einzigen Preisträger, der aus dem Landeswettbewerb in den Bundeswettbewerb geleitet werden durfte. Im Anschluss folgte eine ganz leichte Lockerung bis 1989. Erst seit 1990 hat man die Pforten geöffnet mit dem Weiterleitungssystem mit 23 Punkten. Danach ist eine grundsätzlich wunderbare Entwicklung eingetreten, die das Ganze vervielfacht hat. Wir müssen nun schauen, das Ganze beherrschbar zu machen. Wir haben in diesem Jahr über 1.700 Preise auf Bundesebene vergeben, das ist eine enorme Zahl. Es geht darum, einen Modus zu finden, auf den man sich einigt, auch auf Länderebene, sodass nur eine Zahl von Preisträger*innen zum Bundeswettbewerb kommt, die dort auch zu bewältigen ist. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gemeinsam gelingt.
»Man muss vorsichtig schrauben«
Torsten Tannenberg (60) ist seit 1997 Geschäftsführer des Sächsischen Musikrats. Jugend musiziert betreut er in Sachsen seit 20 Jahren und hat sich in dieser Zeit große Expertise erworben. Geboren in Leipzig hat Tannenberg Schulmusik an der Hochschule für Musik Weimar studiert. Heute ist er Mitglied des Sächsischen Kultursenats und einer der Sprecher der IG Landeskulturverbände in Sachsen. Darüber hinaus berät er die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen sowie Fördergremien von drei sächsischen Kulturräumen.
neue musikzeitung: Wie steht Jugend musiziert in Sachsen und bundesweit da?
Torsten Tannenberg: Wenn Sie jemanden in Sachsen nach dem Sächsischen Musikrat fragen, da werden Sie von vielen fragend angeschaut. Aber wenn Sie sagen, kennen Sie Jugend musiziert? Das kennt man. Auch daher rührt ein bisschen das Unverständnis, das wir als Landesmusikräte darüber haben, dass man gerade jetzt an der Marke »Jugend musiziert« kratzt. Wir haben 2023 das 60. Jubiläum gefeiert und auch gesehen, was die Urväter sich in den 60er-Jahren ausgedacht haben: Im Westen wollte man Orchesternachwuchs und im Osten wollte man den Tschaikowski-Wettbewerb gewinnen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Nach 60 Jahren bedarf die Marke einer gewissen Auffrischung. Ich habe letztens dem Jugend musiziert-Beiratsvorsitzenden Ulrich Rademacher geschrieben: »Wir brauchen keine tausend Pianisten mehr, wir brauchen hundert Musikpädagogen«.
nmz: Der Wettbewerb muss sich ändern?
Tannenberg: Da wird es Änderungen geben, sicherlich. Will man aber so ein System nicht gefährden, dann muss man vorsichtig schrauben. Corona war ein Break: Da merkten wir, wie dieser Just-for-Fun-Bereich, den wir vor allen Dingen auf Regionalebene hatten, richtiggehend abriss. In den Ländern sind wir vor allen Dingen darauf aus, eine breite Basis zu schaffen, Grundmusikalisierung zu machen. Daher sind wir als Länder absolut nicht bereit zu sagen, jetzt müssen wir Jugend musiziert kleiner machen, sondern wir wollen es größer und attraktiver.
nmz: Welche Aufgabe hat denn der Wettbewerb heute?
Tannenberg: Wir als Gesellschaft haben uns darauf verständigt, dass Musik zu unserem Leben gehört. Dass wir als Gesellschaft musikalische Bildung befördern, dass Steuerzahler bereit sind, dafür auch Geld auf den Tisch zu legen, das ist weltweit einmalig in dieser Breite. Die Regionen sind für uns die wichtigste Ebene, weil sie sich bemühen, so viel als möglich Kinder für diesen Wettbewerb zu begeistern. Wir haben zum Beispiel in Sachsen über 60.000 Schüler an Musikschulen und nur ein Bruchteil, nämlich zirka 1.500, nehmen am Wettbewerb Jugend musiziert teil und unterziehen sich damit auch einem gewissen Leistungsdruck. Da werden neben den rein musikalischen auch Sekundärtugenden vermittelt, die ganz wichtig sind.
nmz: Es liegt auf der Hand, dass man Kinder und Eltern so früh wie möglich für die Idee des Wettbewerbs gewinnen will, oder?
Tannenberg: Es wird eine Aufgabe für die Zukunft sein, den Wettbewerb nicht nur als eine Art »Durchreise-Ding« zu verstehen. Das gelingt uns derzeit noch nicht so richtig, weil die wichtigste Ebene, die Regionalebene, eigentlich die ist, die am wenigsten Geld hat und zum Großteil nur ehrenamtlich organisiert ist.
nmz: Wettbewerbe auszurichten kostet natürlich Geld. Man spricht von finanziellen Problemen aufseiten des Bundeswettbewerbs, der sagt, wir bekommen zu viele gute erste Preisträger*innen zugeschickt. Wie kann man das lösen? Wie handhaben Sie das für die Sachsen und im Verbund mit allen Landesmusikräten zusammen?
Tannenberg: Das Thema hat der Bund aufgerufen, indem er sagt: »Wir haben nicht die Chance, den Wettbewerb in der Größenordnung fortzuführen, wie wir ihn bisher durchgeführt haben.« Da kursieren auch verschiedene Zahlen. Wir haben aber auch auf der Bundesebene degressive Teilnehmerzahlen. In Halle 2019 hatten wir 2.782 Teilnehmer – das war die Spitze. In Oldenburg 2022, da waren es nur noch 2.300. Also die Zahlen gehen seit Corona schon nach unten.
nmz: Der Bund sagt, wir können nur noch etwa 1.200 Wertungen ausfinanzieren. Mehr geht nicht?
Tannenberg: Auf der einen Seite haben wir Verständnis dafür, wenn der Bund sagt, wir können es uns nicht leisten. Auf der anderen Seite haben es bisher Länder und Bund noch nicht geschafft, sich auf ein System zu einigen, das die Interessen beider Seiten berücksichtigt. Das bisherige Prinzip des Wettbewerbs – ich erbringe eine Leistung, bekomme für diese Leistung eine bestimmte Punktzahl und erspiele mir damit quasi die nächste Wettbewerbsebene – würde mit Begrenzung der Wertungszahlen, die mit einer notwendigen Kontingentierung einherginge, ad absurdum geführt. Leider haben wir die Zentralkonferenz im September 2023 nicht als Gesprächsforum für die Fragen genutzt.
Im Juni 2024 glaubten wir, nach langen Diskussionen einen Kompromiss gefunden zu haben, indem wir uns auf strengere Weiterleitungsregeln vom Land zum Bund – das heißt Weiterleitungen gibt es erst ab 24 Punkten – geeinigt und die Durchführung jeder Wettbewerbsebene unter Finanzierungsvorbehalt gestellt hatten. Der Bundesebene war das im Nachgang zu unsicher, man sagte uns, wir werden euch Zahlen vorschreiben, wie viele Teilnehmer aus den Bundesländern kommen. Das können die Länder nicht akzeptieren.
nmz: Wie löst man den Konflikt zwischen den Ländern auf der einen Seite und dem Bund auf der anderen Seite, der offensichtlich Finanzierungsprobleme hat?
Tannenberg: Wir kennen den Umfang der Finanzierungsprobleme nicht – es geistert so eine fünfstellige Summe rum und da sage ich, das sind Peanuts – es geht uns aber auch nichts an. Ich gehe auch gar nicht so hart ins Gericht mit dem Deutschen Musikrat, sondern eher mit den Finanziers des Deutschen Musikrats. Ein Bundesfamilienministerium, das nicht erkennt, dass man mit einem relativ geringen Betrag im Verhältnis zu einem Etat eines Bundesministeriums Konflikte befrieden kann, das verstehe ich nicht. Ich schlage jeden Tag die Zeitung auf und lese, was hier in dem Land nicht mehr funktioniert. Wenn wir jetzt den Leuten erklären, auch Jugend musiziert funktioniere nicht mehr, ist das ein schlimmes politisches Zeichen in die Gesellschaft hinein. Ich erachte das einfach als sehr unclever.
nmz: Was für Lösungsoptionen gibt es denn aus Sicht der Landesmusikräte? Andere Systeme, andere Wertung, andere Finanzierung?
Tannenberg: Wir haben als Sachsen im Jahr 2010 – also vor 14 Jahren – bereits einen Vorschlag gemacht, hinsichtlich der Änderung des Punktesystems: Wir wollten auf Regionalebene, gemäß dem Olympischen Gedanken, nur noch Prädikate vergeben, auf Landesebene ein 15-Punkte-Schulnotensystem einführen und auf Bundesebene tatsächlich nur noch die absolute Spitzenförderung betreiben. An Reformen sind wir jetzt gerade wieder dran. Es gibt eine »Arbeitsgruppe Punktesystem«. Es gibt natürlich auch Vorschläge aus den Ländern, die gehen dahin, dass man sagt, lasst uns noch mal die Kategorien anschauen: Müssen alle Kategorien sein?
Es sind viele Kategorien zuletzt immer auf Betreiben des Bundes hinzugekommen. Also ich kann mich an die Diskussion 2015 über die Baglama erinnern: Das war mehr eine politische Diskussion. Und ob uns die Popszene abnimmt, was wir mit diesen Pop-Kategorien veranstalten, weiß ich auch nicht. Kategorieneinschränkung ist sicherlich auf jeden Fall ein Thema. Es gibt Kollegen, die sagen, man könne Altersgruppen begrenzen. Die Länder haben konkrete Vorschläge gemacht, weil wir natürlich auch wollen, dass gerade der Wettbewerb auf Bundesebene wieder attraktiver wird. So wie er jetzt ist, ist das natürlich nicht mehr das Fest und nicht die Begegnung, die ich aus den 90er-Jahren kenne.
Natürlich sind die Kosten gestiegen. Viele Eltern können sich nicht mehr leisten, drei-, viermal zu übernachten. Die Übernachtungskosten sind ja nach Corona explodiert. Das heißt, die Teilnehmer reisen maximal für eine Übernachtung an. Wenn sie sich das leisten können noch eine zweite, dann fahren sie wieder ab. Ich gehe auch davon aus, dass man einmal in das Budget reinschauen muss. Jugend musiziert ist im Übrigen ein politisches Druckmittel par excellence. Wenn sie zu einem Politiker gehen und sagen, Jugend musiziert ist gefährdet, kriegen sie jede Unterstützung. Deswegen verstehen wir eigentlich die Diskussion auch wenig. Was das Ganze zurzeit ein bisschen schwierig macht, ist, dass die moderierende Funktion des Deutschen Musikrates verloren gegangen ist. Bund und Länder finden sich derzeit in einer konfrontativen Situation wieder.
nmz: Müssen sich die Länder finanziell entsprechend stärker beteiligen?
Tannenberg: Wir legen schon eine Menge Geld auf den Tisch. In allen drei Ebenen fließen die meisten Mittel für den Wettbewerb ja ohnehin von Seiten der Länder. Auch der Bundeswettbewerb wird zu 50 Prozent aus Zuschüssen von Kommunen und Ländern finanziert. Es ist sicher nicht so, dass die Länder sagen, sie tragen da keine Verantwortung. Vor zwei Jahren hatten wir mit Zwickau den Bundeswettbewerb in Sachsen und es war für uns selbstverständlich, die Finanzierung sicherzustellen – sowohl aus kommunalen als auch aus Landesmitteln.
Die Interviews führte Andreas Kolb am 14. und 19. August 2024.