Israel ist hierzulande auf der Jazz-Landkarte nicht allzu präsent. Und andersherum? Da arbeitet das Landesjugendjazzorchester Sachsen gerade für den jazzigen Ruf des Freistaats. Mit dem Bigband-Jazz-Programm „Swingin’ Bigband, Vocals & beyond“ ist das Ensemble seit heute auf Tournee.
Und wird hoffentlich feststellen: So weit liegen „Jazz“ und „Israel“ nicht auseinander. In den vergangenen zehn Jahren haben sich viele israelische Jazzmusiker in den Vordergrund gespielt, sodass man schon von einer neuen Jazz-Welle in und aus Israel spricht. Der bekannteste Jazzer der jüngeren Generation ist sicherlich der Sänger und Bassist Avishai Cohen, der hymnische Songs schreibt, in denen sich Einflüsse aus Nordafrika und dem Nahen Osten, aber auch aus Rock, Kammermusik und hebräischen Volksliedern wiederfinden. Daneben stehen der Gitarrist Gilad Hekselman, der Bassist Omer Avital der Schlagzeuger Ziv Ravitz oder Gilad Atzmon, das enfant terrible der Szene, die dem „Jazz made in Israel“ internationale Aufmerksamkeit verschafft und das Genre um wichtige Facetten erweitert haben.
Dabei liegen die Quellen der vorderorientalischen und arabischen Folklore und des Jazz näher beieinander, als man leichthin denken mag: die freiere synkopierte Rhythmik, pentatonische Skalen und natürlich das Moment der Improvisation auf bestimmten Grundmustern. Der Gitarrist Roni Ben-Hur hat der Zeitschrift Jazztimes einmal gesagt: „Der Charakter von Jazz, das rhythmische und freie Element, entspricht der israelischen Mentalität. Israel mit seinen Einflüssen von Immigranten aus aller Welt und seiner Ethik des Individualismus ist ein Melting Pot wie New York.“ Dass in Israel unterschiedliche musikalische Einflüsse zusammenströmen und dem Jazz ein besonderes Gepräge geben, meint auch Avishai Cohen: „Es gibt viele israelische Songs, die auf russischen Songs basieren. Osteuropäische Melodien, versehen mit hebräischen Texten. Das wurde zu einem Folk-Idiom in Israel. Dann gibt es Komponisten, die den mediterranen Sound und die arabischen Rhythmen der Darabouka mit westlichen Harmonien verbanden. Das brachte einen speziellen Sound hervor.“ (zit. nach Broder, Jüdischer Kalender 2009-2010, 9. Februar/25. Schewat)
Neben den traditionellen folkloristischen Einflüssen, auf die der Jazz in Israel unter anderem aufbaut und die das Wort vom „Falafel-Jazz“ in Umlauf gebracht haben, sind es aber vor allem die Erfahrungen, die die israelischen Musiker aus der „Diaspora“, vor allem aus den USA mitgebracht haben. Seit den sechziger Jahren sind israelische Jazzer in die USA, speziell nach New York, gegangen, um dort mit den Größen des Jazz zu spielen, und in der ungemein regen Szene von New York ihre Karriere zu beginnen. Seit einigen Jahren zeichnet sich nun ein neuer Trend ab: Viele israelische Jazzmusiker kehren wieder in ihre Heimat zurück, und Avishai Cohen steht am Anfang einer Reihe von Jazzern, die in der Fremde Karriere gemacht haben, und nun wieder in Israel leben.
Trotz dieser Rückkehr ist das Land noch nicht unbedingt ein heißes Pflaster für den Jazz. Der heute in Düsseldorf lebende Jazzpianist Omer Klein meinte auf die Frage, wie es um den Jazz in Israel steht: „Die junge Szene blüht. […] Woran es immer noch fehlt, ist eine gute Infrastruktur: Clubs, Festivals, Labels, Unterstützung durch die Regierung – kurzum alles, was diese großartige Musik dem Publikum näherbringen kann.“
Eine wichtige Institution für Jazz in Israel, die gleichwohl staatliche Unterstützung genießt, ist die der Bigbands und Militärkapellen in der israelischen Armee. Wegen des permanenten Gefährdungszustandes des Staates sind die Militärausgaben in Israel die größten pro Kopf in der Welt und die Bedeutung und Präsenz der Armee in der Öffentlichkeit besonders groß. Viele der heute bekannten Jazzer, wie etwa die Geschwister Yuval, Anat und Avishai Cohen (der Trompeter Avishai Cohen ist nicht verwandt mit dem oben genannten gleichnamigen Bassisten), die in der Familienband „3 Cohens“ (Sopransaxophon, Klarinette, Tenorsaxophon, Trompete) zusammen spielen, haben in diesen Bigbands ihre frühe Ausbildung erhalten. Und die umfangreichen Auftrittsmöglichkeiten boten reiche praktische Erfahrungen.
Was liegt also näher, wenn das Landesjugendjazzorchester nun mit einem Bigband-Programm nach Israel fährt! Vor Ort können die Jung-Jazzer aus Sachsen einer gut ausgebauten, wohlbekannten Tradition begegnen – und sicher auch einem eingehörten, anspruchsvollen Publikum. Möge es wechselseitig anregen!
Aron Koban