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Internationaler Besuch beim alten Hasen

Das Amt eines Kinderchorleiters scheint eine Lebensaufgabe zu sein: zuletzt besuchten wir Andreas Heinze beim Semperopern-Kinderchor, der gerade sein zwanzigjähriges Amtsjubiläum feiert. Nun trafen wir Gunter Berger. Er ist erst der dritte Chorleiter des Philharmonischen Kinderchors Dresden, der 1967 auf eine Anregung Kurt Masurs hin gegründet wurde.

Selbst manche Philharmonie-Besucher müssen da erst einmal grübeln: Gunter Berger? Ach, der neue Chordirektor! Naja, neu. Schon seit Herbst 2012 stehen der Philharmonische Chor und der Philharmonische Kinderchor unter seiner Leitung. Mit der öffentlichen Aufmerksamkeit, die etwa der Chefdirigent Michael Sanderling genießt, ist Gunter Berger nicht annähernd gesegnet. Aber dafür scheint das Amt eine Lebensaufgabe zu sein: der Kollege beim Kinderchor der Semperoper feiert gerade sein zwanzigjähriges Amtsjubiläum; und Berger selbst ist erst der dritte Chorleiter des Kinderchors, der 1967 gegründet wurde.

"Als ich vor anderthalb Jahren in Dresden begann, war mir bewusst, welchem Chor ich hier begegnen würde: großes Renommee, hohes Niveau", erinnert sich Gunter Berger. "Für die Kinder war es nicht einfach, nach den 23 Jahren, die mein Vorgänger da war, mit dem 'Neuen' zu arbeiten. Immerhin, wir auf dem Weg, uns musikalisch zu finden." Die Chorarbeit funktioniert dabei im Teamwork. Petra Schwarzer, Tanzpädagogin, übernimmt die rhythmische Erziehung und die Tanzpädagogik bei den Vorklassen des Chors. Carola Rühle unterrichtet die Kinder in Musiktheorie. Elke Linder betreut seit vielen Jahren die Stimmbildung der Mädchen und Jungen – deren letztere der Chor übrigens nur fünf hat, weil, so erklärt Berger, Jungs heutzutage früher in den Stimmbruch kommen und so im typischen Kinderchoralter schon nicht mehr verfügbar sind. Seit anderthalb Jahren macht zudem Iris Geißler die Chorassistenz und Klavierbegleitung des Chors. Anne Neubert, die Chorinspizientin, kümmert sich um das Organisatorische. Und dann gibt es noch den Förderverein mit vielen Eltern, der sich beispielsweise um die Reisen kümmert. All das findet unter dem großen Dach der Philharmonie statt.

Nun ist es sicherlich nicht ganz einfach, in einer Stadt wie Dresden seine eigene künstlerische Stimme zu finden, neben Kreuzchor und Kapellknaben, neben Singakademie, Unichor, Dresdner Kammerchor, den Chören des Schütz-Konservatoriums und zahlreichen anderen Laienchören. Was den Kinderchor also besonders macht? Der Chorleiter macht es an der Programmatik fest: vom Kinderlied über Volkslieder, von der klassischen Chorsinfonik bis hin zu zeitgenössischen Werken hat er ein breites Repertoire. Und schreckt – zugegeben – hin und wieder auch vor Grenzsituationen nicht zurück. Mit leichtem Schauern denkt der Autor etwa an diesen Weihnachtsliederabend zurück, Schauspielhaus, eine Band in weißen Anzügen, dahinter die Mädchen, selig im Terzabstand summend... Sicher, es gebe Grenzen aus ästhetischer Sicht, sagt Gunter Berger, und bei manchen Bearbeitungen schaue er genau: passt das zum Kinderchor? Aber man müsse nur die Augen aufhalten: "es gibt schon richtig tolle Musik von heute!" So stehen neben Werken von Bach und Moritz Hauptmann, Geiger der Dresdner Hofkapelle und später Thomaskantor, Neuschöpfungen von John Leavitt (*1956), György Orbán (*1947) und Kurt Bikkembergs (*1963) im Notenschrank des Chors. "Es ist ja eine Herausforderung, für Kinderchor zu schreiben! Eine schlichte Dreistimmigkeit hinzubekommen, das ist schwerer als fünf Stimmen. So finden sich immer mehr Komponisten, große Namen darunter, die die Herausforderung annehmen."

Weitere musikalische Entdeckungen haben die Chormitglieder dieser Tage machen können: als Gastgeber des fünften Internationalen Kinderchorfestivals Dresden. Gastchöre aus Südkorea, der Ukraine, aus Venezuela und Island sind in Dresden angereist, und haben jeweils klingende landestypische Kostproben im Gepäck. Bei Begegnungskonzerten haben sich die Gäste vorgestellt; die Chorleiter brachten ihnen wechselseitig Lieder ihrer Heimat bei. Die Dresdner stiegen mit "Kein schöner Land" in den Ring, lernten ihrerseits isländische Klänge und venezolanische Rhythmen kennen. Die Gäste genossen auch ein Begleitprogramm "in Familie", lernten Dresden kennen, konnten einmal durchatmen. Im Zentrum des Abschlusskonzerts des diesjährigen Festivals steht eine Uraufführung von Lorenz Maierhofer: sein Werk mit dem Titel "The Light of Future" ist der Weltmusik zuzurechnen und thematisiert die Rechte von Kindern. 

Nun wäre es für ein Fazit nach anderthalb Dienstjahren in Dresden vielleicht noch zu früh. Aber: ist Gunter Berger nun, nach langen Jahren beim MDR Kinderchor, in Dresden "Angekommen", wie die Plakate eines damals zeitgleich und wiederum mit ungleich mehr Pomp und Circumstance in der Stadt einreitenden Chefdirigenten titelten? Im Gespräch macht der Dirigent einen völlig entspannten, ausgeglichenen Eindruck, er freut sich über die Fortschritte, die seine Chöre in Dresden bereits gemacht haben, und hat mit dem Leipziger Oratorienchor und anderen Gastverpflichtungen weitere Farben auf der Palette. Und, ja, das nötige Quentchen Aufregung vor den Konzerten, das ist immer noch da. "Ein alter grauer Hase bin ich inzwischen, aber das Knistern, das brauche ich, diese Aufregung werde ich mir wohl nicht mehr abgewöhnen können!"

Martin Morgenstern

Eine Textfassung des Artikels ist am 5. Mai 2014 in der »Sächsischen Zeitung« erschienen.

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