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Im Dienst der neuen und der alten Musik

»Musikalisch leben wir in Sachsen in einer Zweiklassengesellschaft«, sagte Christfried Brödel vor fünf Jahren in einem Interview der »Sächsischen Zeitung«, und meinte damit gar nicht die Welt der populären Musik, des Schlagers und der Volksmusik versus die Welt der »ernsten Musik«, sondern ausschließlich im Bereich der letzteren die etablierten, seit Jahrzehnten hochsubventionierten Leuchtturm-Orchester, -Chöre und Festivals im Freistaat einerseits und die kreativen, kleinen, notwendigerweise drehfreudigen und finanzbedingt anpassungsfähigen Projekte und Ensembles andererseits. »Ich würde mir da mehr Balance wünschen«, sagte Brödel (leise und doch prägnant, wie immer), und ergänzte: »In der Hochqualität-Szene sollte mehr von selbst laufen, und mit den Mitteln sollte man lieber kreativen, jungen Leuten eine Chance geben. […] Auf dem Land besteht die große Gefahr, dass sonst ein Ensemble nach dem anderen untergeht. Ich muss Ihnen doch nicht erzählen, was das auch politisch für Konsequenzen hat, wo die Leute dann landen.«

Ein erfülltes, langes Musikleben lang hat sich Christfried Brödel nun schon als Advokat vor allem dieser zweiten Gruppe gesehen. Als Promovend im Fach Mathematik hatte er, ehemals Chorassistent von Hans-Joachim Rotzsch, 1981 die Meißner Kantorei 1961 übernommen, die sich damals in einer schwierigen Situation befand. Siebenunddreißig Jahre lang, bis zu seinem siebzigsten Geburtstag, leitete er das Ensemble, ohne je ein Honorar zu fordern. Als Vorsitzender der Neuen Bachgesellschaft stellte er ab 2015 das Engagement für Projekte in den Mittelpunkt seiner Arbeit, die in Zeiten drohenden Kulturabbruchs von der öffentlichen Hand nicht genügend Futter bekamen; hielt etwa in Osteuropa verschiedene »Bach-Akademien« ab oder gab Chorleitungskurse. Eine dritte Leitlinie in Brödels Arbeit ist das andauernde, leidenschaftliche Engagement für die Komposition zeitgenössischer (Kirchen-)musik, insbesondere die Werke des Dresdners Jörg Herchet, eines Dessau-Schülers, der selbst nach der Wende an der Dresdner Musikhochschule zum Kompositionsprofessor berufen wurde, dem allerdings außerhalb Sachsens – von einer halbstündigen Aufführung bei den Donaueschinger Musiktagen 1980 abgesehen, die auf Tonträger erhalten ist – kaum je die angemessene Aufmerksamkeit zukam.

Wer Christfried Brödel als Chor- oder Orchesterdirigent erlebt hat, schätzt seine stille, völlig selbstlose und bescheidene und dabei stets humorvolle und vor allem bis ins allerletzte Detail durchdachte und umfänglich informierte Art der Musikvermittlung. Als Abiturient glaubte ich, nun hoffentlich bald mehr Zeit für die Musik zu haben, und meldete mich damals nassforsch kurz vor einem Konzert beim damaligen Rektor der Hochschule für Kirchenmusik; ich wolle gern im Hochschulchor mitsingen! Christfried Brödel empfing mich freundlich in seiner damaligen Wohnung am Käthe-Kollwitz-Ufer und nahm sich geduldig die Zeit, mit mir sämtliche Werke des anstehenden Konzerts durchzugehen und mich ausgewählte Choräle und Fugen zu seiner Klavierbegleitung vorzusingen. Anschließend gingen wir zur Hochschule hinüber, und er (freundlich und ruhig wie immer) stellte mich (schweißgebadet) den schmunzelnden Sängern vor … Es wurde ein wunderbares Konzert. Wieviele Generationen von Choristen werden inzwischen durch diese strenge Schule gegangen sein, allein in dem von ihm vor zwanzig Jahren gegründeten »Ensemble vocal modern«, das inzwischen Uraufführungen etwa von Diether de la Motte, Matthias Drude, Jörg Herchet (natürlich), Heinz Holliger, Günter Neubert oder Manfred Weiss vorweisen kann? Im Schützjahr 2022 gab dieses Ensemble unter Christfried Brödels Leitung Konzerte mit Werken des Sagittarius, kombiniert mit Uraufführungen von Bernd Franke, Christian FP Kram oder Agnes Ponizil, und schlug so wie wenige andere Ensembles erhellende Bögen aus der Schützschen Musikwelt in die Gegenwart.

Dass Christfried Brödel mitnichten gedenkt, dieses freundlich-beharrliche Engagement für die alte und die neue Musik nach seinem 75. Geburtstag aufzugeben, beweist die E-Mail, die er im November an Mitstreiter und Förderer versandte. Für 2023 plant er die Uraufführung der »kantate zum fest des hl. ignatius von loyola (31. Juli)« von Jörg Herchet in Dresden, am liebsten »in Beziehung zu Musik von Johann Sebastian Bach […] Meine Bitte ist, dass sich die Adressaten dieses Schreibens zu einer konzertierten Aktion zusammenfinden, um die hoch qualitätvolle Musik Herchets zu Gehör zu bringen und dem Sohn der Stadt Dresden ein angemessenes Geschenk zu seinem 80. Geburtstag zu machen.« Um Antwort sind die Adressaten des Schreiben bis zum Vorvorabend seines eigenen Geburtstages am 17. Dezember gebeten, und man kommt nicht umhin anzunehmen, dass sich Brödel mit diesem Konzert auch ein bisschen selbst beschenken möchte. Wer dieses doppelte Geschenk gern mäzenatisch unterstützen würde, melde sich einfach beim Sächsischen Musikrat, der sehr gern die Projektkoordination übernommen hat.

Dr. Martin Morgenstern

 

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