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Ein musikalisches Freiluftmuseum

Wer mit Kindern zu tun hat, kennt die Situation: Bildung und Freizeitvergnügen lassen sich nicht immer kongenial verknüpfen: "Heute gehen wir ins Museum!" – Mit dieser Aussage macht man gemeinhin nur wenige Kinder übermäßig glücklich. Die „Kleine Leipziger Notenspur“ dagegen lockt Familien und Kindergruppen mit einem interaktiven Angebot.

Im deutschen Sprach- und Kulturraum ist das Bild vom Museumsbesuch noch immer recht unverbrüchlich mit jenem des Musealen, irgendwie Angestaubten verknüpft: Noch dazu, wenn es dabei um irgendwelche Menschen geht, die früher einmal Musik geschrieben haben! Solche Musik, wie man sie im Konzertsaal oder Opernhaus hören muss, bei der man meistens still dasitzen und zuhören soll.

Reliquien alter Zeiten hinter Glas – bitte nicht die Vitrinen berühren, dafür ehrfürchtig staunen und geduldig zuhören, was die Großen dazu zu sagen haben. Dass die das selbst manchmal gar nicht so mögen, verrät der Bildungsbürger dem Nachwuchs lieber nicht. Ob man so ein lebendiges Verhältnis zu Kultur und Tradition bekommt, sei dahingestellt; denn es geht in jedem Fall auch anders, wie ein ehrgeiziges Projekt beweist, das in der bekennenden Musikstadt Leipzig auf den Weg gebracht wurde.

»Leipziger Notenspur« heißt die Gesamtmarkte. Die »Kleine Leipziger Notenspur« nun ist der Ableger, der sich an Gruppen junger Besucher ebenso wie an Familien richtet. Und in der Tat: Warum sollte, was in den Naturwissenschaften mehr und mehr zur Regel wird und in kürzester Zeit unglaublich an Popularität gewonnen hat, nicht auch in anderen – zum Beispiel kulturellen – Bereichen funktionieren? Das interaktive Museum, eine Art Entdeckerlandschaft? Natürlich adaptiert für die entsprechenden Inhalte und Gegebenheiten... 
Die Leipziger Notenspur macht die Musikstadt selbst zu einem großen Museum, schlägt – geführt oder individuell – verschiedene thematische Spaziergänge vor. Die »Kleine Leipziger Notenspur« hat diese für junge Besucher mit ganz unterschiedlichen Zugängen zur Musik interaktiv aufbereitet und stellt die Erlebenskomponente bei der Wissensvermittlung in den Vordergrund. Egal, ob man die »Notenwand«, die in die Welt der Notation und ihre Geschichte einführt, als Ausgangspunkt nimmt oder eines der Komponistenhäuser – von Grieg bis Mendelssohn, Bach bis Schumann – oder doch eher eine der traditionsreichen Institutionen – wie Gewandhaus, Oper oder MDR – es ist die Vielfalt der möglichen Zugänge, die die Kleine Notenspur so interessant macht für Gruppen aller Art, egal ob Klassenausflug oder musikalisch interessierte Exkursanten.

»Entdeckerpass« nennen die Notenspurmacher den kindgerechten musikalischen Stadtführer, der quasi eine thematische Schatzsuche begleitet, deren erfolgreiche Absolvierung natürlich auch belohnt wird. Gewiss mag die Lösung mancher Aufgabe für Kinder mit höherer musikalischer Allgemeinbildung leichter sein, dennoch haben die Verantwortlichen darauf geachtet, dass neben Wissen in mindestens ebenso starkem Maße Neugier und Kreativität gefragt sind und zum Ziele führen. Und manche der Fragen, mit denen die Notenwand neugierig machen will auf die Welt der Töne und Klänge, sollen auch schon Profimusiker mächtig ins Schlingern gebracht haben.

Begleitet werden die jungen Besucher auf ihrer Schatzsuche von Toni, einem frechen Notenkopf auf zwei Beinen, der sich als Maskottchen der Kleinen Notenspur längst bewährt hat und auch schon einmal als gigantisches Kuscheltier im Rahmen von Notenspuraktivitäten für junge Besucher lebendig wird, frech als Anwalt der Kinder und ihrer Bedürfnisse.

Werner Schneider, Spiritus rector der Leipziger Notenspur Initiative, erinnert sich, dass gerade die Kindernotenspur, die anders als das Projekt für erwachsene Besucher bisher keine öffentliche Förderung erhalten hat, wohl ohne bürgerschaftliches Engagement nicht zustande gekommen wäre. Doch der Physiker und Professor für Statik und Dynamik hielt von vornherein an seinem Ziel fest, der Notenspur soziale Mittlerfunktion zu verleihen, weil er dem einen besonderen Wert zumisst: "Ich bin davon überzeugt, dass in unserer technisierten Welt die emotionale Bildung wichtiger denn je ist, weil uns Musik für einander sensibilisiert und miteinander verbindet. Das ist nicht nur für Menschen wichtig, die das Glück hatten, mit Musik aufgewachsen zu sein. Deshalb wollen wir den uns in Leipzig anvertrauten Schatz der Musik mit möglichst vielen Menschen teilen und an der Überwindung milieubedingter Barrieren mitwirken." Daraus leitet er den besonderen Ansatz der Notenspur ab:

"Die Notenspur ist nicht nur ein Musikprojekt. Wir verbinden Musiktradition und Stadt und schaffen so neue Anknüpfungspunkte und Zugänge zur Musik für Menschen unterschiedlicher Interessen und verschiedenen Alters. Durch den Notenspur-Entdeckerpass und die Kinderhörspielszenen des Audioleitsystems bieten wir ebenso wie durch die »Spurensuche« im öffentlichen Raum anschauliche Anregungen für die Verknüpfung von Musikerlebnis und Stadterkundung."

Die »Leipziger Notenspur« als Gesamtprojekt wurde im letzten Jahr mit dem europäischen Kulturpreis ausgezeichnet und ist zentraler Bestandteil der Bewerbung der Musikstadt um den UNESCO-Welterbe-Titel. Sie beinhaltet außerdem auch ein Notenrad – also einen musikalischen Radweg rund um die Musikstadt.

Tatjana Böhme-Mehner

Die Edelstahlintarsien der »Notenspur«
Foto: W. Schneider
Musiksalon im Mendelssohnhaus
Foto: Angela Liebich

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