Es ist Party-Zeit. Letzte Woche feierte der Dresdner Jazzclub Tonne, erst wenige Tage vorher zum dritten Mal in Folge mit dem deutschen Spielstättenprogrammpreis ausgezeichnet, eine Jazz-Party zum Wiedereinzug in die renovierten Tonne-Gewölbe unter dem Kurländer Palais. Und am 21. November 2015 jährt sich der »Tonne«-Neustart nach erfolgter Insolvenz des alten Vereins zum fünfzehnten Mal.
Zwischen dem mühevollen Neustart im November 2000 und der bevorstehenden Eröffnungsparty im Kurländer Palais liegen rund fünfzehn erfolgreiche, vor allem jedoch arbeitsreiche Jahre. In diesem Zeitraum hat sich der Jazzclub Tonne zur führenden Adresse für innovative zeitgenössische internationale Jazzmusik in Dresden und weit darüber hinaus entwickelt.
Ein Blick zurück.
21. November 2000, Jazzcafé im Dresdner Waldschlösschengelände. Rechtsanwalt Albert Wolff hatte als Insolvenzverwalter die Mitglieder des Jazzclubs Tonne Dresden e. V. zur Mitgliederversammlung einberufen, um sie von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen ihren Jazzclub zu informieren. Nach heftigen Diskussionen und der Abarbeitung seines juristischen Pflichtteils stellte Wolff schließlich die entscheidende Frage: »Wollen Sie nicht einen neuen Verein gründen?« Zwar hätte ein neuer Verein anfangs keinerlei Kapital, aber andererseits auch keinerlei Schulden. »Es wäre doch schade, wenn alles den Bach runterginge.« Und Wolff zeigte auf seinen Mitarbeiter Lutz Garbe, der sich übergangsweise als Vorsitzender zur Verfügung stellen würde. Die Zuhörer waren verblüfft. Schließlich trugen sich doch etwa vierzig Jazzfreunde, darunter vielleicht vier oder fünf aus dem alten Verein, in die herumgehende Mitgliederliste ein – der erste Schritt in das Leben der »Neuen Tonne« war getan.
Die folgenden waren vorgezeichnet: Ständiger Kampf um die Finanzen – jeder Verstärker, jede Stunde Büro- und Konzertsaalnutzung und auch der Bühnenaufbau musste beim Insolvenzverwalter gemietet werden –, Hineindenken in vorgefundene Vertragssituationen, Neugestaltung von Verträgen, Sponsorengewinnung, das Suchen nach Fürsprechern... Vor allem dank Lutz Garbe bewegte sich die noch blutjunge »Neue Tonne« in wirtschaftlich sicherem Fahrwasser.
Der eigentliche Konzertstart der »Neuen Tonne« erfolgte Ende Januar, Anfang Februar 2001 mit Benefizkonzerten zugunsten den neuen Dresdner Jazzclubs. Es spielten das deutsch-amerikanische Karl Schloz-Trio, die noch junge New Yorker Kultband Gutbucket – deren Manager Steffen Wilde heutzutage »Tonne«-Geschäftsführer ist – sowie das Trio Peter Kowald / Conny Bauer / Baby Sommer. Um an die künstlerische Tradition des alten Vereins anzuknüpfen, veranstaltete die »Neue Tonne« am 17. März 2001 eine große öffentliche Geburtstagsparty »20 Jahre Tonne« – stilistisch vielfältig von Dixie bis zur gemäßigten Moderne. Im Programm die Elb Meadow Ramblers, die Swingin’ Bluebirds, das Sax Quartett Dresden, die Eastside Bigband und Damn Delicious. Auch große Namen des zeitgenössischen Jazz wurden im Frühjahr 2001 verpflichtet. So traten das Doug Hammond Trio (mit John Lindberg), das Jon Ballantyne Quartet, das Rudy Linka Trio und die faszinierende Multi-Kulti-Band Vershki da Koreshki, auch schon Paul Millns und sogar Sex Mob auf. Weitere Höhepunkte waren die Konzerte mit Iva Bittová im Audi max der TU Dresden und mit dem bulgarischen Eva Female Vocal Quartet. Bis Ende Juni 2001 organisierte die »Neue Tonne« fünfzig Konzerte sowie einige Jazz-Brunchs und Afterwork Parties, dazu kamen noch die montäglichen Abende mit dem Real Monday Night Long Island Ice Tea Jazzfanatics Orchestra.
Vom März 2001 an war Jörg Heyne als Geschäftsführer eingestellt worden, der – ins kalte Wasser geworfen – das wachsende neue Konzertprogramm organisatorisch im Griff hatte und betreute. Heyne, der sich schon beim alten »Tonne«-Verein beworben hatte, wegen der Insolvenz aber nicht zum Zuge kam, setzte eine ganze Reihe seiner Ideen zur Sponsorengewinnung um, musste aber dennoch vom Vorstand im Zuge des »Tonne«-Auszuges aus dem Waldschlösschengelände zum Ende Juni 2001 entlassen werden. Denn schon im Mai war sonnenklar geworden, dass der Verein die opulenten Kosten im Waldschlösschengelände nicht erwirtschaften konnte. Die »Neue Tonne« kündigte zum Ende Juni neben Heyne auch die Räume, ging in eine schöpferische Sommerpause und bereitete ihr neues Programm vor, das dann gewissermaßen im Exil, im Schillergarten und in der Scheune, präsentiert werden sollte.
Am 18. September 2001 starteten die »Tonne outside«-Veranstaltungen, insgesamt 19 Konzerte gingen in den rund drei Monaten bis Mitte Dezember über die Bühnen der asylgewährenden Einrichtungen. Unter den internationalen Musikern waren Claude Barthélémy, Man Bites Dog feat. Chris Speed, Tony Buck, der grandiose Antoni Donchev, Steamboat Switzerland mit Lucas Niggli und das Black Sea Trio. Diese Konzerte mussten mit großem Aufwand organisiert werden. Häufig war Technik oder Instrumentarium zu mieten und vor und nachts nach den Konzerten hin- und zurückzutransportieren, das alles ohne einen einzigen angestellten Mitarbeiter. Ohne Helfer und Sponsoren war die Durchführung dieser »outside-Konzerte« nicht möglich.
Gottseidank gelang es dem Verein, den jungen Musikstudenten Hagen Gebauer ab Oktober 2001 als stundenweise Honorarkraft für die dringend zu erledigenden Vertrags-, organisatorischen und Buchhalterarbeiten zu gewinnen. Diese Arbeiten erledigte Hagen Gebauer bis zum Juni 2003, die ersten drei Monate in einem Büro in der Yenidse, ab Januar 2002 von zuhause aus. Zu den genannten Konzerten kamen noch reichlich zehn Abende mit dem Real Monday Night Long Island Ice Tea Jazzfanatics Orchestra im Schillergarten. Insgesamt eine erstaunliche Leistung, durch die in dieser schwierigen Phase der »Tonne«-Jazz für Dresden erhalten werden konnte.
Dennoch kam es Ende 2001 fast zur Katastrophe: Der »Neue Tonne«-Vorstand war für den 29. November 2001 zum Gespräch mit dem damaligen Kulturamtsleiter Werner Barlmeyer geladen. Der aber ließ sich verleugnen; ersatzweise eine Mitarbeiterin musste den extra im Kulturrathaus erschienen Vorstandsmitgliedern lapidar mitteilen, dass die Stadt den Verein nicht mehr fördern werde. Außer sich vor Wut über die überbrachte Nachricht und das Verhalten Barlmeyers trat Lutz Garbe sofort als Vorsitzender zurück. Dr. Helmut Gebauer wurde in den Vorstand kooptiert und – später zum Jahresbeginn 2002 – zum kommissarischen Vorsitzenden bestimmt.
Unterdessen war der Jazzverein auf der Suche nach einem eigenen Domizil. Es gab ausführliche Gespräche über eine eventuelle Wiedernutzung des Kurländer Palais, es gab Gespräche mit Vertretern der Firma Prisco, die Jazzfreunde besichtigten auf Einladung eines hohen Sparkassen-Managers ein leerstehendes Keller-Restaurant unterhalb des neuen Sparkassengebäudes am Altmarkt und es gab am 7. Dezember 2001 unter dem Titel »Heimatsuche« sogar ein Probekonzert im Historischen Ausgrabungskeller Altmarkt 10a, bei dem einige Dresdner Musiker auftraten. Das Richtige jedoch war nicht darunter.
Ein Vorstoß des Vorstandes beim Kulturausschuss des Dresdner Stadtrates in buchstäblich allerletzter Minute – ich hatte den Stadtrat Peter Zacher über die Krise informiert und um Hilfe gebeten – eröffnete dem Jazzclub plötzlich wieder (Über)Lebensmöglichkeiten. Dr. Helmut Gebauer und ich als Programmchef stellten den Ausschussmitgliedern auf einer extra dafür einberufenen, nicht öffentlichen Ausschuss-Sitzung am 12. Dezember 2001 das Konzept der »Neuen Tonne« vor. Ergebnis: Die »Neue Tonne« wurde weiter gefördert und konnte am 14. März 2002 ein weiteres, diesmal international besetztes Probekonzert im Gewölbekeller des Kulturamtsgebäudes auf der Dresdner Königstraße 15 durchführen. Das US-amerikanische Trio mit Ellery Eskelin (sax), Andrea Parkins (keyb, acc) und Jim Black (dr) verzückte das Publikum. Durch diesen Konzerterfolg bestärkt, beschloss der Verein, den Gewölbekeller unterm Kulturrathaus zum Clubdomizil zu machen. Gleichzeitig, vom 1. März 2002 an, nahm Viktor Slezák, damals Student des Masterstudienganges Kultur und Management, seine Arbeit als Mitarbeiter auf, zunächst für wöchentlich zehn Stunden, anfangs unentgeltlich. Erst am 15. September 2003 würde Slezák teilzeitbeschäftigt Geschäftsführer werden, ab 1. Juli 2004 Geschäftsführer auf einer halben Stelle. Mit einem attraktiven »Startschuss«-Wochenende am 19. und 20. April 2002, bei dem das Alexander von Schlippenbach Trio, das Jazzensemble der Dresdner Musikhochschule und Adam Pieronczyks Plastiline Black Sheep auftraten, nahm der Jazzclub seine neuen Kellerräume auf der Dresdner Königstraße 15 in Besitz. Damit, etwa anderthalb Jahre nach der Insolvenz des ursprünglichen »Tonne«-Vereins, war der »Tonne«-Jazz für Dresden gerettet.
Dreizehn volle, mit Veranstaltungen prall gefüllte Jahre sollte nun der Keller unter dem Kulturrathaus die Heimat der »Tonne« werden. Das ist eine lange Zeit, und im Vergleich mit dem berühmten Gewölbekeller unter dem Kurländer Palais, der nun glücklicherweise wieder bezogen wird, lediglich kurze drei Jahre weniger.
Wie es nun weitergeht?
Hingehen und hinhören – wie sonst?