Seit Aufkommen der Beschlussvorlage für den Zwickauer Stadtrat zur Schließung der Sparten Musiktheater und Konzert am Theater Zwickau/Plauen begleitet »Musik in Sachsen« die Diskussion. Aron Koban sprach mit Lutz de Veer, Generalmusikdirektor des Theaters, über seine Wahrnehmung der Kürzungspläne und darüber, was die Schließung für die gesamte Region bedeuten würde.
Lutz de Veer, 2011 sprachen Sie noch davon, dass die Arbeit mit dem fusionierten Orchester auf einem guten Weg sei und dass Sie das Publikum, besonders in Zwickau, gewinnen konnten. Jetzt steht der Bestand des Orchesters durch die Beschlussvorlage des Stadtrats Zwickau überhaupt infrage.
Diese völlig unvermittelt in die Öffentlichkeit gebrachte Beschlussvorlage hat alle Mitarbeiter am Theater überrascht, besser gesagt: schockiert. In dieser Form haben wir nicht damit gerechnet. Die Stadt Plauen – als einer der Gesellschafter – hat schon vor Monaten signalisiert, die finanziellen Zuwendungen für das Theater reduzieren zu wollen, und zwar um 1,4 Mio. Euro. Im Sommer 2015 läuft der bestehende Haustarifvertrag aus und man braucht einen Anschlussvertrag. Die jetzt vorliegenden Pläne würden das Ende des produzierenden Mehrsparten-Theaters bedeuten.
Und was ist mit Zwickau?
Die beiden Gesellschafter Zwickau und Plauen stehen bei den Zuwendungen in einem momentanen Verhältnis von 56 % zu 44 %. Wenn Plauen reduziert, reduziert auch Zwickau. Als die Zwickauer Oberbürgermeisterin Frau Dr. Findeiß die Idee äußerte, aus dem Haustarifvertrag auszusteigen und wieder zu einem Flächentarifvertrag zu kommen, haben wir zunächst gestaunt: Das soll plötzlich finanziell möglich sein? Im zweiten Moment war klar, dass man dann auch an die Struktur gehen kann. So ist es nun gekommen, und schlimmer als jeder dachte.
Wie erklären Sie sich diese Beschlussvorlage?
Es hat auf Verlangen der Stadt Zwickau eine Zuarbeit von unserem Geschäftsführer, Herrn Volker Arnold, gegeben. Thema: Wie könnte Theater aussehen, wenn noch so und soviel Geld zur Verfügung stände? Darin kam zum Ausdruck, dass das Fünfspartentheater, also Musiktheater, Ballett, Schauspiel, Puppentheater und Konzert in dieser Form nicht mehr haltbar wäre. Aus diesen „Zahlenspielen“ hat der Zwickauer Finanz- und Kulturbürgermeister, Herr Meyer von der Partei der Linken – den ich übrigens seit meinem Amtsantritt 2010 noch nie im Theater oder Konzert getroffen habe – zu Herrn Arnolds und unser aller Überraschung diese Beschlussvorlage erstellt und veröffentlicht.
Bundesweit gibt es vielerorts Fusionen und Schließungen von Orchestern und Theatern. Ist das nicht eine allgemeine Tendenz aufgrund des demographischen Wandels, Binnenmigration in die Metropolen, Überalterung, Landflucht, geburtenschwache Jahrgänge der jetzt jungen Erwachsenen usw.?
Es gibt diese gesellschaftliche Entwicklung. Aber es kann doch nicht sein, dass man zuerst das Theater infrage stellt, wenn nicht genug Geld in der öffentlichen Kasse ist! So stoppt man doch keine Abwanderung. Die Politik hat die Aufgabe eine positive Stadtentwicklung zu fördern, um deren Attraktivität zu erhöhen. Das Theater mit seinen vielfältigen Angeboten ist da ein wichtiger Baustein.
Muss sich jede Kleinstadt ein Opernhaus und ein Sinfonieorchester leisten?
Naja – jede Kleinstadt … Außerdem sind schon zu viele Theater und Orchester abgebaut worden. Ich frage mal zurück: Warum müssen wir uns eigentlich ständig rechtfertigen, überhaupt Theater und Musik machen bzw. anbieten zu dürfen? Das ist doch kein Selbstzweck. Wir haben eine wichtige Funktion in der Gesellschaft und sind in einen großen kulturhistorischen Zusammenhang eingebunden. Mich stört auch die „Zweiklassengesellschaft“. Unser Rathaus in Zwickau ist für 18 Mio. Euro saniert worden. Ich wüsste nicht, dass Politiker etwas erwirtschaften. Wir im Theater sind wirklich in einer Plastikbesteck-Liga angekommen.
Wenn es so ein vergleichsweise kleines Publikum für Theater und Oper gibt, dann besteht der Verdacht, dass es ein Luxus für eine kleine Schicht ist, der zwar teuer, aber für kaum jemanden relevant ist.
Kunst ist kein Luxus, sondern ein Lebenselixier. Die Schöngeistigkeit, die „Erziehung der Gefühle“, braucht der Mensch genauso wie Essen und Trinken. Viele Menschen haben sich durch Petitionen und Unterschriften zu unserem Theater bekannt und gesagt, wir wollen unser Theater. Daraufhin wurde die Beschlussvorlage als Punkt der Stadtratssitzung vom 18. Dezember erst einmal heruntergenommen. Wenn jemand nicht ständig ins Theater geht, heißt das nicht, dass er das Theater nicht wahrnimmt und als ein Qualitätsangebot in der Stadt empfindet. Dasselbe gilt auch für Museen oder Schwimmbäder.
Was würde eine Schließung der Sparten Orchester und Musiktheater in Ihren Augen für die Region bedeuten?
Das hätte eine große kulturelle und geistige Verarmung zur Folge. Man stelle sich vor, Zwickau, die Geburtsstadt Robert Schumanns, ohne professionelles Orchester! Außerdem würden die Beziehungen und der Austausch der Institute untereinander verloren gehen. Viele Musiker des Orchesters unterrichten in den Konservatorien, es gibt gemeinsame Projekte. Das Konservatorium ist jetzt für 10 Mio. Euro saniert worden, da macht es überhaupt keinen Sinn, im Gegenzug das Orchester zu schließen. Beides gehört doch zusammen. Wozu soll man Musiker ausbilden, wenn es in Zukunft kaum noch Institute gibt, in denen die jungen Leute eine berufliche Beschäftigung finden können? Es ist lächerlich für fehlende 1,4 Mio. im Jahr alles über Bord zu werfen, was einen wichtigen Teil des Lebens und der Gesellschaft ausmacht. Das steht in keinem Verhältnis, das ist viel zu kurz gesprungen. Deshalb muss es andere Lösungen geben.
Selbst wenn man nur über Zahlen reden will, sollte man wirklich einmal zu Ende rechnen. Wenn diese Einsparung erfolgt, werden die Städte, die ganze Region dafür „bezahlen“. Man muss sich etwas einfallen lassen, um die Städte am Leben zu erhalten, sie müssen Inhalte haben. Warum sollte ein Arzt oder Unternehmer, der kulturell interessiert ist, sich in einer Stadt ohne Theater und Orchester niederlassen?
Es sind auch Forderungen nach einer Strukturreform des Theaters erhoben worden. Sehen Sie strukturelle Probleme an Ihrem Theater?
„Moderne Strukturen“ wurden gefordert. Theater ist ein Gebilde, das seit Jahrhunderten existiert, und ich glaube nicht, dass es seit Jahrhunderten falsch aufgestellt ist. Ein funktionsfähiger Theaterbetrieb bedarf einer bestimmten personellen Ausstattung. Beispielsweise haben wir wegen des permanenten Stellenabbaus inzwischen keine vollwertige Bibliothekar-Stelle mehr. Diese wichtige Arbeit der Notenbeschaffung, Archivierung und Zusammenstellung von Orchestermappen teilen sich bei uns Dramaturgen, Orchestermusiker und Kapellmeister. Diese Einsparung ist ein relativ großer Verlust für das Theater und ich stelle die Frage: Retten diese paar Euro den Stadthaushalt? Man könnte diese Beispiele fortsetzen. Ein bisschen Theater geht nicht! Wenn man jetzt noch ein Drittel oder mehr des Geldes wegnimmt und die Gesellschafter meinen, wir müssten einfach nur erfindungsreich genug sein und Strukturen bilden, die weiterhin einen funktionierenden Theaterbetrieb ermöglichen, kann ich nur sagen: diejenigen wissen nicht, wovon sie reden.
In der Weihnachtszeit haben Musiker besonders viel zu leisten. Wie gehen die Musiker mit dieser großen Verunsicherung um?
Diese Beschlussvorlage zu diesem Zeitpunkt war äußerst unsensibel von Seiten der Politik. Allerdings kommen die Musiker nicht aus einer unbeschwerten Situation. Seit das Orchester 2000 in die Fusion gegangen ist, wurde es sukzessive abgebaut. Fast alle Musikerinnen und Musiker, die altersbedingt ausscheiden, werden nicht durch junge Kräfte ersetzt – ein Thema für sich.
Es wird jetzt immer von Haushaltsausstattungen und Zwangslagen gesprochen. Was fehlt Ihnen in der Diskussion um die Kürzungs- bzw. Schließungspläne?
Man darf nicht nur davon reden, wie viel Euro Zuwendung das Theater im Jahr kostet. Das ist eine falsche Diskussion. Die Frage ist, welche Maßnahmen welche Auswirkungen haben – finanziell und ideell. Theater kann mehr Geld einspielen als es kostet, sagt eine Leipziger Studie. Dieser Gedanke der „Umwegrentabilität“ muss mehr Beachtung finden. Wo Menschen keine Kultur haben, besteht die Gefahr einer Verrohung und Intoleranz, es gibt mehr Gewalt, der Staat muss mehr Gelder für Polizei und Gefängnisse aufwenden. Das ist sehr teuer. Da ist es doch besser, man investiert in kulturelle Bildung. In der Diskussion muss klar werden, dass Theater und Musik etwas Positives sind. Letztendlich geht es im Absoluten dabei um so wenig Geld.
Vielen Dank für das Gespräch.