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Die Sächsische Staatskapelle und eine lohnende »Tokio-Residenz«

Wenn 120 Musikerinnen und Musiker mitsamt ihren Instrumenten und einer unverzichtbaren Helferschar für zehn Tage in den Fernen Osten reist, ist das teuer. Richtig teuer. Unterm Strich kommen da weit über 100 Interkontinentalflüge zusammen, werden in summa mehr als 1.000 Übernachtungen gebucht; Tagegeld und sonstige Pauschalen fallen diesen Ausgaben gegenüber wohl kaum ins Gewicht. Warum tut sich ein mit öffentlichen Geldern finanziertes Orchester wie die Sächsische Staatskapelle das an? Anders gefragt: Wie kann es sich das leisten, ohne umgehend vor den Rechnungshof zitiert zu werden? Orchesterdirektor Jan Nast verrät keine Zahlen. Macht aber deutlich, dass die internationalen Gastspiele der Kapelle nicht nur wichtig fürs Image, sondern auch gewaltige Kostenfaktoren sind. Lohnende Kostenfaktoren.

Insbesondere eine solche Tour wie die jüngste in den Fernen Osten, als die Dresdner Staatskapelle zu einer veritablen »Tokio-Residenz« gereist war, sei durchaus gewinnbringend und erhöhe die Refinanzierung der Semperoper. Hiervon profitiere nicht nur der Freistaat Sachsen, sondern letztendlich auch der Steuerzahler.

Gelohnt hat sich diese Residenz natürlich auch für die Gastgeberseite, die damit das Jubiläum »30 Jahre Suntory Hall« prächtig ausschmücken konnte. Schon in diesem Namen steckt jede Menge Finanzkraft - er ist aber auch darüber hinaus mächtig gehaltvoll. Steht er doch für Japans umsatzstärksten Getränkehersteller, 1899 gegründet, der intern zudem auf 60 Jahre Whisky- und 20 Jahre Bierproduktion zurückblicken kann. Erfolgreiche Jahre, versteht sich. Nebenbei bemerkt: Suntory-Whisky fehlt in den meisten hiesigen Auslagen, zu Unrecht!

Ende der 1970er Jahre machte das Unternehmen einen anderen Missstand aus, den es umgehend behob. Ausgerechnet die japanische Hauptstadt hatte noch keinen Konzertsaal für klassische Musik! Die stand damals schon hoch in der Gunst der Kulturnation in Fernost und hat seitdem kräftig wachsenden Zuspruch erfahren. Mit der 1986 erfolgten Eröffnung der Suntory Hall hatte Tokio nicht nur ein Kleinod, sondern einen akustischen Meilenstein gesetzt. Dank der kundigen Beratung durch Herbert von Karajan ist der Saal nicht in Schuhkarton-, sondern in Weinberg-Form gebaut worden (was bei einem Getränkekonzern eigentlich naheliegend, aber ausschließlich aus klangtechnischen Gründen erfolgt ist!). Der prächtige Saal mit seinen gut 2.000 Plätzen wird jedoch von gewaltigen Kronleuchtern erhellt, die an Champagnerkelche gemahnen sollen, auch das samtige Gestühl vermag in seinen satten Farben gerne schon mal auf den Pausen-Rotwein einzustimmen.

Eröffnet wurde das Haus durch das NHK-Symphonyorchester unter Wolfgang Sawallisch, knapp zweieinhalb Jahre später trat hier auch die Dresdner Kapelle zum ersten Mal auf, damals unter dem Dirigenten Hiroshi Wakasugi. Das Gewandhausorchester mit Kurt Masur war um ein paar Monate schneller, die Dresdner Philharmonie folgte im Herbst ’89 mit Herbert Kegel. Heute sind diese Klangkörper gern gesehene Gäste in Japan und reihen sich regelmäßig ein in die hier aufspielende Elite bester und allerbester Orchester der Welt.

Die jüngste »Tokio-Residenz« der Kapelle ist aber dennoch etwas ganz Besonderes zur Feier des Hauses gewesen. Unter Leitung von Chefdirigent Christian Thielemann konnte ein bedeutender Querschnitt aus dem Repertoire geboten werden, standen Oper, große Konzerte und Kammermusik auf dem Programm. Einem Programm, wie es die Menschen in der Mega-Metropole offenbar lieben. Denn ungeachtet der Kartenpreise von bis zu 46.000 Yen (knapp 400 Euro) bei zwei halbszenischen »Rheingold«-Aufführungen und 36.000 Yen (immer noch mehr als 300 Euro) im Konzertbereich gab es eine ungemein hohe Kartennachfrage. Und das inmitten eines in Tokio nicht eben schmalen Kulturangebots.

Das erste »Rheingold«, von Regisseur und Ausstatter Denis Krief eigens für diese Reise entwickelt, ist übrigens der 25. Auftritt der Sächsischen Staatskapelle in der Suntory Hall gewesen. Dass der Orchesterklang nicht aus einem Operngraben, sondern frisch von der Bühne ins Auditorium strömte, ist eine CD-reife Glanzleistung gewesen, an deren musikalischer Qualität freilich auch die 14 Solisten ihren Anteil hatten. Ob Michael Volle als Wotan, Kurt Streit als Loge, ob Stephen Milling und Ain Anger als Fasolt und Fafner, ob Mihoko Fujimura als Fricka, Regine Hangler als Freia oder Christa Mayer als Erda und Christiane Kohl als Woglinde - das war Gesangskunst vom Feinsten. In allen Partien!

Zu dieser gelungenen »Leistungsschau«, wie Orchesterdirektor Jan Nast das Gastspiel empfand, trugen neben zwei Orchesterkonzerten auch das Kammermusikprojekt »Fräulein Tod trifft Herrn Schostakowitsch« von und mit Isabel Karajan sowie ein Beethoven- und Schubert-Abend mit dem sich aus Stimmführern und Solobläsern der Kapelle zusammensetzenden Dresdner Oktett bei. Es überrascht kaum, dass der Name Karajan in Japan, wo der Vater der Schauspielerin nicht zuletzt auch in Sachen CD-Entwicklung äußerst aktiv gewesen ist, auf große Beliebtheit stößt. Dass jedoch ein Projekt wie »Fräulein Tod« - 2014 zu den Internationalen Schostakowitsch-Tagen Gohrisch herausgekommen und seitdem international präsentiert - auch in Tokio derart fasziniert, war schon überraschend. Denn schließlich steht dieses Kammerstück aus russischer Avantgarde-Literatur und einer vom Dresdner Streichquartett mit dem Pianisten Jascha Nemtsov hervorragend ausgeführten Schostakowitsch-Melange für Wagnis und Experiment. Ein Risiko aber, das aufging.

Dem Tokioter Publikum wurde freilich auch das geboten, was es beim Namen Sächsische Staatskapelle ganz offenbar erwartet: Ein klassisches Spektrum von Beethoven bis Wagner und Strauss. So durften Ludwig van Beethovens Klavierkonzerte Nr. 2 und 5 mit dem Solisten Kit Armstrong ebenso gefeiert werden wie die tragische Fantasieouvertüre »Romeo und Julia« von Peter Tschaikowski und Franz Liszts »Les Préludes«. Ganz zum Schluss nochmal Wagner als Zugabe, dann schloss sich ein musikalischer Kreis, der schon auf das nächste von diesem Orchester bestrittene Jubiläum hinweisen sollte: 50 Jahre Osterfestspiele Salzburg. 1967 durch Herbert von Karajan gegründet, seit 2013 von Christian Thielemann geleitet und von der Sächsischen Staatskapelle bespielt. Bei dem Jubel, den die »Tokio-Residenz« ausgelöst hat, versteht es sich wohl von selbst, dass künftig noch mehr japanisches Publikum zu den Spielstätten der Kapelle strömen wird.

Michael Ernst

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