Interview |

Das System ist festgefroren

Musikrats-Geschäftsführer Torsten Tannenberg über Fehlentwicklungen, Fallstricke und Chancen der sächsischen Kulturraum-Förderung

Das Kulturraumgesetz ist Stolz und Stütze des Freistaates. Aktuell steht es auf dem Prüfstand, denn Theatern wie Kleinkünstlern geht das Geld aus. Sachsen, so findet Torsten Tannenberg, der Geschäftsführer des Sächsischen Musikrates, erwartet mittlerweile zu viel von dem Gesetz - und muss sich neu zu Kunst und Kultur positionieren. Der Rat ist Dachverband der 45 wichtigsten Musikvereine und -institutionen des Landes. Tim Hofmann hat mit Tannenberg gesprochen.

Freie Presse: Über das viel gelobte Kulturraumgesetz gibt Sachsen für Kunst und Kultur rund 90 Millionen Euro im Jahr. Ist das für diesen Bereich kein ausreichendes Förderinstrument für den ganzen Freistaat?

Torsten Tannenberg: Nein, und so ist es auch nicht gedacht. Das Gesetz wurde ursprünglich für den Erhalt der Theater- und Orchesterlandschaft in der Finanzsituation nach der Wende gemacht. Damals musste schnell die heute noch gültige und eigentlich auch weitsichtige Lösung her, der über die Jahre immer mehr Kulturbereiche zugeschlagen wurden. Aber sie basiert eben auf drei Förderebenen: Land, Kulturräume und Kommunen! Und wir brauchen nach wie vor alle drei. Das Land bezahlt Leuchttürme wie das Bachfest oder die Staatsoper, die Kommunen ihre Sachen vor Ort. Die Kulturräume dagegen fördern alles von regionaler Bedeutung.

Das mit der Semperoper ist klar. Darüber hinaus hat man aber schon den Eindruck, dass die Kulturförderung im Land fast ausschließlich per Kulturraumgesetz erfolgt?

Ja, es gibt solche Tendenzen, gerade in den ländlichen Kulturräumen. Da gibt es die schleichende Tendenz, so viel wie möglich beim Kulturraum unterzubringen. Dabei ist nun wirklich nicht jede Heimatstube, jede Stadtbibliothek und jedes Rathauskonzert für den ganzen Kulturraum relevant. Dass das alles trotzdem gefördert wird, führt zu einer gewissen Überforderung. Die kommunale Förderebene ist da oft schon weggebrochen. Was natürlich oft auch an der finanziellen Situation der Kommunen liegt. Es hat sich aber auch eine entsprechende Denkweise, eine Anspruchshaltung herausgebildet.

Ist das Gesetz aber nicht auch ausdrücklich dazu gedacht, Kultur auch abseits der Großstädte zu ermöglichen? Läuft das nicht zwangsläufig gerade auch auf besagte Heimatstube hinaus?

Man muss selbstverständlich im Einzelfall genau hinsehen, und das wird ja auch gemacht. Fakt ist aber, dass seit den 90ern immer mehr Aufgaben in das Kulturraumgesetz gegeben wurden, die mal klar kommunal waren. Musikschulen sind das beste Beispiel. Oder Stadtbibliotheken. Dabei sind die Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden in den letzten Jahren durch die Decke gegangen. Gut, die Ausgaben auch. Aber in der Lage sollte man neu über kommunale Aufgaben sprechen.

Wäre das dann eine Diskussion über neue Förderinstrumente oder über die Bedeutsamkeit kultureller Angebote?

Na, vor allem eine darüber, wie die Kommunen ihre kulturelle Verantwortung sehen. Ihre eigene Kultur zu fördern ist nämlich laut sächsischer Verfassung ihre Pflicht. Dabei geht es aus meiner Sicht nicht nur ums Geld, sondern auch um Impulse. Denn indem man dieses Aufgabe einfach den Kulturräumen rüberschiebt, kümmert man sich vor Ort auch weniger um die Inhalte.

Das klingt, als sollten die Kommunen den Kulturräumen die Luft verschaffen, die sie dringend brauchen?

Es ist eine gewisse Überforderung bei den Kulturräumen eingetreten. Auf der einen Seite wird zu viel gefördert von der lokalen Bibliotheks-Lesereihe bis zur kleinen Kirchenmusik. Und auf der anderen Seite nehmen natürlich Institutionen wie Theater, Orchester, und Kulturhäuser viel Raum ein, bei denen es gerade darum geht, lang überfällige Tarifanpassungen zu tätigen. Diesen Spagat kann kein Kulturraum bewältigen.

Müsste man das also wieder fein säuberlich auseinandernehmen?

Ja, aber da gehört natürlich Mut dazu. Denn die Entscheidungsfindung in den Kulturräumen ist ja mit den Jahren auch sehr festgefahren. Die Facharbeitsgruppen und Beiräte arbeiten zwar urdemokratisch – am Ende haben aber in den ländlichen Kulturräumen im entscheidenden Konvent die Landräte allein das Sagen. Und die sehen im Zweifel nach politischem Gusto und nicht durch die kulturpolitische Brille.

Wie würden Sie denn die Mittelvergabe wieder demokratischer gestalten?

Es muss gelingen, mehr Diskussionen auf der Entscheider-Ebene anzustoßen. Die Bedienungsmentalität bei den Kommunen muss aufhören. Im Zweifel werden Einrichtungen und Angebote, die man aus diversen Gründen gern im Ort haben will, hochgepusht, bis sie überregional wirken. Da gibt es im ganzen Lande einige ungute Entwicklungen. Und es ist schwer dagegen zu argumentieren, weil etwas kulturelles im Prinzip ja immer gut ist.

Gäbe es denn aus Ihrer Sicht ein gutes Kriterium für Förderwürdigkeit im Kulturraum?

Es gibt den Begriff der regionalen Bedeutung im Gesetz. Den kann man leider sehr frei interpretieren. Gut, es ist mitunter wirklich nicht zweifelsfrei zu erkennen, ob etwas überregionale Bedeutung hat. Aber ich denke, man kann ganz gut sagen, wenn sie definitiv nicht da ist. Es kommt natürlich hinzu, dass wir mittlerweile riesige Kulturräume haben, die ja vor der letzten Gebietsreform in Sachsen nur halb so groß waren.

Wer müsste da besser hinsehen?

Die Beiräte müssten ehrlicher sein. Da ist das Problem, dass viele, deren Projekte oder Institutionen am Gesetz partizipieren, sehr nahe am Entscheidungsprozess mitwirken. Das ist oft sinnvoll, aber mehr Fluktuation müsste es auf jeden Fall geben. Und man müsste den Mut haben, auch Leute von außen zuzulassen. Denn oft werden Dinge nur gemacht, weil man sie eben schon immer gemacht hat: Gut ist, was gut war. Da wird im Detail zu wenig hingeschaut.

Trotzdem: Das, worüber wir bisher gesprochen haben, nimmt die wenigsten Mittel in Anspruch. Legen nicht eher die viel teureren Orchester und Theater die Kulturräume lahm?

Klar, die sind mit bis zu 75 Prozent des Anteils die größten Mittelempfänger. Aber für sie wurde das Gesetz ja auch gemacht, insofern ist der Anspruch schon richtig. Aber wie vorhin schon gesagt: Hier geht es darum, endlich das Personal, das seit Jahren auf Lohn verzichtet, anständig zu bezahlen, nämlich nach Tarif. Da sind die einzelnen Kulturräume überfordert, denn das mündet in die politische Frage: Wie soll die Theater- und Orchesterstruktur in Sachsen zukünftig aussehen? Da muss sich auch der Freistaat positionieren. Die Theater und Orchester verbrauchen viel Geld, bezahlen ihre Macher aber trotzdem mies. Das kann für die Zukunft nicht funktionieren. Vor allem aber kann es nicht die Entscheidung von einem oder zwei Landräten sein, ob ein Orchester bestehen bleibt. Da kein Landrat ein Orchester schließen wird, gibt es in der Frage einfach keine Bewegungsspielräume mehr. Das System ist festgefroren!

Sie spielen darauf an, dass nur noch drei Prozent der Kulturraum-Mittel überhaupt für neue, freie Projekte da sind ...

In einigen ländlichen Kulturräumen gibt es schon gar keine freien Kulturträger mehr in einigen Sparten. Die bekommen dort oft nicht mal mehr Förderanträge. Da bräuchten wir zumindest eine Moderation aus dem Kunstministerium. Der Freistaat muss doch mal sagen, wie er die Kultur in seine Landesentwicklung einbauen will. Sachsen will die Fläche entwickeln, diese Entscheidung ist gefallen. Da muss ich auch sagen: Will ich die Orchester behalten? Wo brauchen wir 2020 noch ein Theater? Wenn das entschieden ist, dann muss man diese Struktur auch ordentlich finanzieren. Dann bleiben auch mehr Mittel für Entwicklung. Dass die Menschen, die im Kulturbereich arbeiten, durch Lohnverzicht unsere Kulturinstitutionen mitfinanzieren, das geht so nicht.
 

Interview: Tim Hoffmann, Freie Presse Chemnitz
© Copyright Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG, erschienen am 25.01.2016

Foto: Elbland Philharmonie Sachsen GmbH – Orchester des Kulturraumes Meißen – Sächsische Schweiz – Osterzgebirge (Fotonachweis: Elbland Philharmonie Sachsen GmbH).

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