Prekäre Einkommenssituation Musikschaffender
Ein von kultureller Vielfalt geprägtes Kulturleben ohne die freiberuflichen Kreativen? Das Musikland Deutschland ohne die Freischaffenden in allen Sparten, sei es vor, hinter oder auf der Bühne, in den schaffenden und nachschaffenden wie in den musikpädagogischen Berufen?
Es gäbe sie nicht, diese kulturelle Vielfalt, die trotz zunehmend weißer Flecken nicht nur im ländlichen Raum immer noch unser Land auszeichnet. Die drei Grundsäulen der »UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen«, dem Schutz und der Förderung des kulturellen Erbes, der zeitgenössischen künstlerischen Ausdrucksformen einschließlich der Jugendkulturen sowie anderer Herkunftskulturen spiegeln auch im internationalen Vergleich beispielhaft unser Kulturleben.
Die kürzungs- und schließungsbedingten Risse in der bildungskulturellen Infrastruktur legen aber immer deutlicher offen, dass dieses Fundament föderativ angelegter Vielfalt bröckelt. Das liegt zum einen an dem schwindenden Bewusstsein für eine nachhaltig angelegte Strukturförderung, die immer mehr einer »Projektitis« weichen muss, und zum anderen an den zumeist prekären Einkommensmöglichkeiten für freiberuflich Tätige im Kulturbereich. Rund 12.000 Euro Jahresbruttoeinkommen laut Künstlersozialkasse für Musikerinnen und Musiker markieren eine skandalöse Diskrepanz zwischen den Sonntagsreden zur Bedeutung von Bildung und Kultur für den einzelnen Menschen wie für unsere Gesellschaft und dem Montagshandeln oftmals indiskutabler Rahmenbedingungen für die freien Musikberufe.
Die »Eiszeit-Studie« des Deutschen Musikrates hat die poröse finanzielle Situation der Freischaffenden einmal mehr deutlich werden lassen. Die Umsatzrückgänge bei Selbstständigen im Musikbereich lagen im ersten Pandemiejahr 2020/21 bei rund 42 Prozent, nach Berücksichtigung der geleisteten Hilfen verblieb immer noch eine Umsatzminderung von ca. 31 Prozent. Für Selbstständige wird eine dauerhafte Verschärfung der Einkommenssituation erwartet, auch durch wachsende Konkurrenzsituationen am Arbeitsmarkt. Dazu kommen zeitverzögerte Auswirkungen wie zu erwartende niedrigere Ausschüttungen von GEMA und GVL durch die geringere Zahl von Veranstaltungen in der Pandemie. Die Abwanderung aus Musikberufen (9,6 Prozent der Befragten berichten von einem zeitweiligen Berufswechsel, 2,2 Prozent haben das Musikleben bereits verlassen und 16,4 Prozent denken darüber nach, den Beruf zu wechseln) markiert einen beispiellosen Verlust von Know-how.
Weiterhin ergab die Studie, dass im Nachwuchsbereich mit einem Rückgang von etwa 50 Prozent an Menschen gerechnet wird, die einen Musik- oder musikpädagogischen Beruf ergreifen. Als Gründe wurden unklare berufliche und finanzielle Perspektiven sowie ein genereller Imageverlust kultureller Berufe angegeben. Angesichts des »lausigen Zustands der kulturellen Bildung« (Bundestagspräsident a.D. Norbert Lammert) und dem Fachkräftemangel markiert dies in einzelnen Instrumentengruppen eine langjährig wirkende Gefahr für unser Kulturleben. Die Stigmatisierung des Singens und des Musizierens mit Blasinstrumenten sowie die oftmals nachrangige Behandlung bei den Öffnungsszenarien tat ein Übriges.
Die Pandemie hat diese gesellschaftswie sozialpolitische Schieflage einmal mehr offengelegt. Die im Lauf der Pandemie stetig ergänzten Überbrückungshilfen vom Bund mit seinen allein bei NEUSTART KULTUR über 60 Teilprogrammen, an deren Umsetzung im Stipendienbereich auch der Deutsche Musikrat beteiligt ist, sowie der Länder und Kommunen waren und sind in ihrem Volumen und ihrer Vielzahl beispiellos und vielfach hilfreich. Sie sind aber keine Blaupause für die künftigen Sicherungsszenarien kultureller Vielfalt, weder in pandemischen noch in nichtpandemischen Zeiten. Vielmehr gilt es, dieser beispiellosen Krise mit deutlich verbesserten Rahmenbedingungen bei den sozialen Sicherungssystemen und den Erwerbssituationen zu begegnen. Dazu gehört auch endlich die Überwindung des Gender Pay Gap, der im Kulturbereich laut einer Studie des Deutschen Kulturrates über »Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschläge« vom Juni 2016 bei 24 Prozent lag.
Der Koalitionsvertrag der drei Regierungsparteien und der Rat der zivilgesellschaftlichen Verbände, der Berufsverbände und der Gewerkschaften bilden dabei eine gute Ausgangslage. In der Kombination mit den öffentlichen Positionierungen der Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag wie der Bundesregierung wird deutlich, dass die Ziele und Maßnahmen des Koalitionsvertrages nicht im Sinne der Abarbeitung eines Pflichtenheftes misszuverstehen sind, sondern als Ausgangslage für eine nachhaltige und umfängliche Aufarbeitung dieser bereits vorpandemischen Defizitlage.
Dazu gehören:
- Erweitere Zugänge zu den sozialen Sicherungssystemen
Die sozialen Sicherungssysteme sollten für die freiberuflichen Kulturschaffenden zu annehmbaren Bedingungen offenstehen. Der Begriff der »Arbeitslosigkeit« passt nicht zu den berufsbedingten Spezifika im Kulturbereich und könnte beispielsweise durch »Beschäftigungslose Zeiten« ersetzt werden. In Frankreich und Norwegen gibt es Erfahrungen, wie die Absicherung in diesen Zeiten verbessert werden kann. - Künstlersozialkasse für die Bewältigung der anstehenden Herausforderungen ertüchtigen
Neben der deutlichen Erhöhung des Bundeszuschusses gilt es, den Berechtigtenkreis stetig zu überprüfen und ggf. zu erweitern. Die selbstständige Arbeit im Kreativbereich, wie z.B. die der Tontechnikerinnen und Tontechniker, sollte u.a. auch dazu gehören. Der Forderung des Deutschen Musikrates, des Deutschen Tonkünstlerverbandes und des Verbandes deutscher Musikschulen vom Februar 2021, dass KSK-Versicherte mehr in nicht-künstlerischen Berufen dazu verdienen können müssen, ohne ihren Versicherungsschutz zu verlieren, hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil mit der Heraufsetzung von 450 Euro auf 1.300 Euro ebenso entsprochen wie der geforderten Verlängerung mindestens bis zum 31.12.2022. - Aktualisierte Honorar-Leitlinien zur Anwendung bringen
Ein Blick in einige Honorar-Leitlinien vom DTKV Bayern, DTKV BadenWürttemberg oder der Deutschen Orchestervereinigung verdeutlicht nicht nur die ortsspezifischen Unterschiede, sondern auch die Einbeziehung weiterer berufsbedingter Ausgaben wie Betriebskosten für Übungsund Probenräume, Gebühren für soziale Absicherung, Steuern, Vorbereitungszeit etc. sowie ggf. zusätzlicher Aufwand wie Anspielproben, Reiseund Unterkunftskosten. Mit den Honorar-Leitlinien soll das Bewusstsein auf den Anspruch einer leistungsgerechten Bezahlung von freiberuflichen Musikerinnen und Musikern geschaffen werden, die insbesondere auch bei öffentlich geförderten Projekten und den Kirchen zur Anwendung kommen sollte. Die Honorarverhandlungen mit privaten Veranstaltern gehören angesichts der durch die Pandemie bedingten schlechteren Einnahmesituation sicherlich zu den komplexeren Herausforderungen.
Wenn die gerade im Musikbereich sehr früh angelegte Qualifizierung, die auf Exzellenz und Kontinuität angelegt ist, nicht ihre Entsprechung in der gesellschaftlichen Wertschätzung, finanziell wie ideell, erfährt, wird es zu einer DeProfessionalisierung in den musikpädagogischen und künstlerischen Feldern kommen, die sich eben nicht durch zeitlich befristete Projekte oder dem Einsatz von Querund Seiteneinsteigenden in den Schulen beheben lässt.
In dieser Verantwortung, das Bewusstsein für den gesellschaftlichen wie individuellen Wert der Musikberufe zu stärken, stehen nicht nur die politischen Akteure auf allen föderalen Ebenen, sondern auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Kirchen. Denn Kultur ist weder Freizeitvergnügen noch Sahnehäubchen, sondern lebensrelevant und eine der Voraussetzungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Soloselbstständige Kreativschaffende sind hochqualifizierte Unternehmerinnen und Unternehmer, die Wesentliches beitragen zu einer funktionierenden und lebenswerten Gesellschaft. Eine galoppierende Bürokratisierung und Regelungswut binden leider zu viele wertvolle Kreativpotentiale, die der eigentlichen Profession Kreativer verlustig gehen.
Künstlerische Vielfalt, musikpädagogische Wirksamkeit und soziale Gerechtigkeit bedingen einander. Dieser Aufbruch zu neuen Freiheiten braucht das gemeinsame Engagement für verbesserte Rahmenbedingungen sowie eine Perspektiverweiterung auf den Arbeitsbegriff und sein Selbstverständnis in unserer Gesellschaft: Kulturarbeit ist Erwerbsarbeit.
Quelle Höppner, Christian: »Aufbruch zu neuen Freiheiten? Prekäre Einkommenssituation Musikschaffender«, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Heft 176 (I), 2022, S. 42–43