Dresdner Sinfoniker werden von Auswärtigen Amt ausgeladen – und laden daraufhin den Außenminister ein: Frank-Walter Steinmeier soll die Schirmherrschaft der deutschtürkisch-armenischen Freundschaftsgesellschaft übernehmen.
Nachdem das Auswärtige Amt am Dienstag das für den 13. November geplante Konzert der Dresdner Sinfoniker im sogenannten Kaisersaal des deutschen Generalkonsulats Istanbul abgesagt hatte, folgte tags drauf die künstlerische Volte. Die Künstler luden den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein, die Schirmherrschaft der deutsch-türkisch-armenischen Freundschaftsgesellschaft übernehmen.
Die sollte eigentlich am Rande des als Versöhnungsgeste in der Türkei geplanten Sinfoniker-Konzerts »Aghet - agit« ins Leben gerufen werden. Das aber wurde kurzfristig storniert: Die Räumlichkeiten stünden nicht zur Verfügung, hieß es lapidar aus Berlin. Sinfoniker-Intendant Markus Rindt kündigte nun eine baldige Gründungsveranstaltung dieser Freundschaftsgesellschaft in Berlin an. Persönlichkeiten wie Cem Özdemir, Osman Okkan, Rolf Hosfeld, Lianna Haroutounian und Ilias Uyar sollen als Gründungsmitglieder bereits zugesagt haben. Steinmeier als Schirmherr wäre nur konsequent, denn der SPD-Politiker hatte »Aghet - agit« im Programmheft zur Dresdner Aufführung im Festspielhaus Hellerau als »Leuchtturm auf dem Pfad der Versöhnung« bezeichnet. Man möchte doch hoffen, dass von nun an nicht im politischen Dunkel gewandert werde. Immerhin soll Steinmeier den Sinfonikern vorgeschlagen haben, »dass wir dazu im Gespräch bleiben und eine Durchführung Ihres Projekt s unter günst igeren Rahmenbedingungen und mit einer besseren Vorbereitung als der derzeitigen neu planen.«
Markus Rindt und Marc Sinan, die Initiatoren des von armenischen, deutschen, türkischen sowie aus Ländern Ex-Jugoslawiens stammenden Musikern realisierten »Aghet«-Projekts, dürften Steinmeiers Worte gewiss als Versprechen auffassen. In einem Schreiben an den Außenminister haben sie am 26. Oktober darauf hingewiesen, dass Berlin schon 1915 auf das Schicksal der Armenier - bis zu eineinhalb Millionen Menschen sollen bei dem Genozid durch das Osmanische Reich ermordet worden sein - hätte Einfluss nehmen sollen: »Heute sehen wir dies einhellig als schweres Versäumnis an, als Mitschuld! Jedoch setzt sich die leidvolle Geschichte der Minderheiten und Andersdenkenden in der Türkei fort. In den letzten Wochen sind zehntausende Menschen entlassen, verhaftet, gefoltert oder getötet worden. Ist dies nicht auch deshalb möglich, weil Verbündete und Partner aus strategischem Kalkül seit langem schweigen?« Der Fehler liege folglich am Beginn dieses Schweigens. »Ihn nicht zu korrigieren sondern immer weiter fortzusetzen, wird in der Rückschau das größte Leid verursacht haben.«
Der kulturpolitische Skandal um die Absage des Istanbul-Konzerts durch das Auswärtige Amt sorgte umgehend für Schlagzeilen. Kaum eine Zeitung oder ein Netzwerk ließ sich dieses Thema entgehen. Die nachgeschobene Begründung der Absage durch das Auswärtige Amt ist denn auch zu peinlich gewesen: Musiker seien nicht befugt, Gäste ins Konsulat einzuladen. In Wahrheit dürften das EUFlüchtlingsabkommen mit der Türkei sowie Zutrittsmöglichkeiten zum Militärstützpunkt Incirlik eine Rolle gespielt haben, nachdem Ankara das künftige Mitwirken am EU-Kulturprogramm wegen »Aghet« bereits aufgekündigt hatte. Diese Reaktion dürfte sich freilich zuvörderst gegen türkische Künstlerinnen und Künstler richten.
Doch auch die Dresdner Sinfoniker haben sich mit ihrer Einladung des türkischen Präsidenten sowie weiterer Politiker zur Istanbuler »Aghet«-Aufführung ins eigene Fleisch geschnitten. Mediale Aufmerksamkeit ist mit dieser bewussten Provokation durchaus erzeugt worden, die Versöhnungsabsicht konnte so aber kaum vorangebracht werden. Immerhin sollen trotz der Istanbul-Absage - die ohnehin in einer extra für Erdogan gemäßigten Fassung stattfinden solle - die Konzerte im serbischen Belgrad und in der armenischen Hauptstadt Jerewan (5. und 10. November) wie geplant stattfinden.
Michael Ernst