Der ungarische Roma-Stil und unser kulturelles Erbe – Eine Kurzbetrachtung von Prof. Milko Kersten, Präsident des Sächsischen Musikrates
Gerade im Zusammenhang mit dem Wettbewerb Jugend musiziert sind Werke wie die »Zigeunerweisen«, »Tzigane« oder »Zigeunerlieder« immer wieder zu hören. Auch im Konzertleben begegnen uns diese z.T. herausragenden Kompositionen regelmäßig. Und doch diskutieren wir in den letzten Jahren glücklicherweise, dass wir bisher den Begriff »Zigeuner« zu sorglos in den Konzertankündigungen belassen haben. Er ist nämlich eine von Klischees überlagerte Fremdbezeichnung der Sinti und Roma durch die privilegierte weiße Mehrheitsgesellschaft, die nicht von allen, aber den meisten Sintizze und Romnja als diskriminierend abgelehnt wird.
Komponisten wie Johannes Brahms oder Pablo de Sarasate, um nur zwei beispielhaft zu nennen, haben als prägende Persönlichkeiten des Musikstils einer ganzen Epoche »Zigeunermusik« nicht nur als exotische Stereotype begriffen, die man den eigenen Werken als folkloristische Farbe beisetzen kann. Vielmehr haben sie in den Schöpfern und Protagonistinnen fähige, ernstzunehmende Musiker/-innen gesehen, die ihrerseits einen eigenen musikalischen Dialekt prägten, der mit den deutschen oder französischen Idiomen bestens zu verschmelzen war. Die Mehrheit ihrer Kollegen wiederum empfanden die fremde Kultur als reizvoll andersartig und leicht verfügbar, sie bedienten sich.
Wir Deutsche sind nach dem Genozid an den Sintizze und Romnja von 1939–1945, auch Porajmos genannt, zu einer besonderen Verantwortung verpflichtet. Wollen wir heute die von Brahms im Alter immer stärker empfundene Achtung gegenüber den Musikern des Roma-Stils des 19. Jahrhunderts fortschreiben, müssen wir aus beiden Gründen die Selbstbestimmung der Minderheit respektieren. Diese nennt sich Sinti und Roma. Die Verwendung von Anführungsstrichen oder die Entscheidung beispielsweise von den »Weisen« op. 20 von Sarasate oder auch den »Z*-Weisen« op. 20 zu sprechen, macht respektvolles Denken öffentlich.
Zigeunerweisen zu spielen, ist nicht verboten. Zukünftig »Zigeunerlieder« zu singen, eine gebotene Idee.
Quellen:
Matthew Gelbhart – Brahms und die Sinti und Roma
Zentralrat deutscher Sinti & Roma – Erläuterungen zum Begriff »Zigeuner«