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Schule der Demokratie in Görlitz

Statement des Präsidenten des Sächsischen Musikrates zum Pressebericht »AfD-Mann verteidigt Sitz in der Stadthallenstiftung« in der SZ-Lokalausgabe Görlitz

Mit großer Freude gab die Görlitzer Stadthallenstiftung 2017 bekannt, dass der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) in die Reihen seiner Stiftungsratsmitglieder aufgenommen werden konnte. Nun war in der Sächsischen Zeitung zu lesen, dass sowohl Herr Thierse wie auch Prof. Dr. Tomasz Tomaszewski, der Präsident der Internationalen Beethoven-Gesellschaft, vorige Woche ihren Austritt aus dem Kuratorium der Stiftung bekanntgaben. Ist das als eine regionale Verwerfung zu sehen oder müssen sich alle sächsischen Kulturschaffenden diesem Thema stellen?

Schauen wir auf die Sachlage. »Die Görlitzer Stadthalle ist 1910 als Festspielhaus für die Schlesischen Musikfeste erbaut worden und sollte diesem zentralen Zweck nach der Sanierung wieder dienen. Herr Prof. Dr. Tomaszewski hat sich für dieses Ziel im Kuratorium der Stadthallenstiftung eingesetzt und vertritt es auch als musikalischer Botschafter Polens im Initiativkreis zur Wiederbelebung der Schlesischen Musikfeste. Er steht exemplarisch für eine grenzüberschreitende und europäische Konzeption der Schlesischen Musikfeste, wie sie vom Initiativkreis vorgelegt worden ist. Herr Bundestagspräsident a.D. Dr. Thierse unterstützt dieses Anliegen und diese Idee ebenfalls. Mit ihm verliert das Kuratorium einen bundesweit geachteten Fürsprecher.« Dies ein Zitat aus der Stellungnahme des Initiativkreises zur Wiederbelebung der Schlesischen Musikfeste.

Der ehemalige Bundestagspräsident wiederum gibt bekannt, dass er »durch einen Zufall erfahren habe«, dass Herr Lutz Jankus, AfD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Görlitz, Mitglied des Kuratoriums der Stadthallenstiftung Görlitz geworden ist. Schon der Umstand, dass die Kuratoriumsmitglieder von dieser Tatsache nicht in Kenntnis gesetzt wurden, sei skandalös und ein Grund, aus diesem Gremium auszuscheiden. Vor allem aber möchte er sich nicht in jeder Gesellschaft aufhalten, schrieb Thierse, jedenfalls in keiner, in der ein Funktionär einer nationalistischen Partei eine Rolle spielt. Und auch Prof. Dr. Tomaszewski verwahrt sich dagegen, dass sein Name durch jedwede Verbindung zu Herrn Jankus in den Schmutz gezogen wird. Die Mitgliedschaft von Lutz Jankus im Kuratorium der Stadthallenstiftung sei ein himmelschreiender Affront gegen die von uns vertretenen europäischen Werte, so seine Einlassung.

Nun ist Herr Jankus ein demokratisch gewählter Mandatsträger. Die Vertretung der AfD in den Gremien ihrer Kommune liegt ganz klar in der Verantwortung der Görlitzer/-innen, die diese Partei gewählt haben. Rücktrittsforderungen an Herrn Jankus kann ich mich nicht anschließen. Er ist ordentliches Stadtratsmitglied und insofern auch für die Arbeit in Kuratorien wählbar, formal. Wie sieht es aber mit der Fachkompetenz und der Entscheidung aus, einem Kuratorium beizutreten oder, was niemals ehrenrührig wäre, einer Persönlichkeit mit Expertise und Affinität zum Thema den Vortritt zu lassen? Eine Utopie – wird man mir entgegenhalten, wo geschieht das schon.

Herr Jankus jedenfalls hat mit seiner unsäglichen und Herrn Prof. Dr. Tomaszewski diffamierenden Entgegnung, dessen Renommee sei anzuzweifeln und er hätte kaum Einträge bei Wikipedia, leider selbst den Beweis geliefert, dass er der intellektuellen Aufgabe, die eine Kuratoriumsmitgliedschaft nun einmal begründet, nicht gewachsen ist. Damit wird seine formale Wählbarkeit ein schmerzlicher Fakt. Umso mehr, als das Kuratorium nun zwei hochangesehene Persönlichkeiten, die bestens dazu geeignet waren, das Anliegen zu beflügeln, verloren hat und der Görlitzer Stadtrat Schwierigkeiten haben wird, die Sitze in äquivalenter Gravität zu besetzen.

Was ist zu lernen aus diesem Vorgang?

Wer Mitglieder der AfD wählt, muss damit rechnen, dass die Inhalte, die diese Partei propagiert, auch realisiert werden und dass genau dieser Umstand zwangsläufig polarisierend wirkt. Er muss bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. Und die können sein, dass Persönlichkeiten mit hohem Ansehen und nachgewiesener Kompetenz für die sehr konkreten kommunalen oder regionalen Projekte oder Vorhaben verloren gehen, weil sie nicht bereit sind, sich von nationalistischer oder rechtsradikaler Gesinnung vereinnahmen zu lassen. Sich demokratisch zu verwirklichen heißt eben nicht, nur allein das Wahl- oder Demonstrationsrecht auszuüben. Wir müssen uns mit den Inhalten auseinandersetzen, alle einzelnen Bürger/-innen(!), und dann nach bester Überzeugung Mandatsträger/-innen für die Verwirklichung der vorgestellten Programme auswählen.

Jetzt, liebe Görlitzer AfD-Wähler/-innen, könnten Sie sagen, wir sächsischen Kulturschaffenden sollten akzeptieren, dass sie Herrn Jankus mit Überzeugung gewählt haben und dass sich seine Nominierung in das Kuratorium der Stiftung wie ein Sieg anfühlt. Dann wäre meine Nachfrage: Sieg hin oder her, wie ist damit aber der Sache Wiederaufbau der Görlitzer Stadthalle nun genützt? Auch in Schilda wurden Siege errungen …

Prof. Milko Kersten

Präsident

 

 

Prof. Milko Kersten, Präsident des Sächsischen Musikrates
Foto: © Angelika Luft

Statement des Präsidenten des Sächsischen Musikrates zum Pressebericht in: Sächsische Zeitung Lokalausgabe Görlitz vom Dienstag, 09.02.2021: AfD-Mann verteidigt Sitz in der Stadthallenstiftung

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