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Rastlos für die Kunst

Ludwig Güttler feiert heute seinen 75. Geburtstag

»Ein ruhiger Zeitgenosse war ich nie«, gab Ludwig Güttler vor ein paar Jahren in einem Interview zu. »Ich stamme sicher von Nomaden ab, die sich an vielen Orten heimisch fühlen und immer schon den nächsten Ort anstreben – zu DDR-Zeiten war ich eher im Ausland zuhause …« Immerhin ist Dresden dem geborenen Erzgebirger nun schon seit Jahrzehnten ein Zuhause, eine Heimat. Dresden - und seine Frauenkirche.

Güttler kommt aus einer musikalischen Familie, studierte in Leipzig, avancierte schnell zu einem der wichtigsten und besten Trompeter der DDR. Seine Scharmützel mit der Staatsmacht schilderte Alexandra Gerlach in ihrem Porträtbuch »Mit Musik Berge versetzen« (2011) eindrücklich. Wer das Buch liest, versteht besser, wie Güttler zu dem Menschen wurde, werden musste, der er heute ist: von Altersmilde nicht die Spur. Humorvoll kann er sein, und, ja, produktiv aufbrausen kann Güttler noch immer. Davon wissen Berufskollegen, Mitstreiter, Politiker ein Lied zu singen. Immer geht es ihm dabei um die Sache: etwas geht nicht schnell genug, jemand hat irgendetwas nicht zu Ende gedacht, nachlässig geplant. Nix da - wenn Güttler an Bord ist, hat die Sache zu funktionieren; man hat Schritt zu halten! Anders ist es ja auch nicht zu erklären, wie er Erlebnisse, Erfahrungen, Anekdoten sammeln konnte, die für fünf Leben reichen würden. 1500 Benefizkonzerte hat Güttler für die Frauenkirche gegeben. Und sein Kalender ist dieser Tage kaum weniger gefüllt: Man muss sich nur mal den Monat Dezember ansehen. In Güttlers musikalischem Hauptkampfmonat sind dieses Jahr neunzehn Konzerte aufgelistet. Am Nikolaustag konzertiert Güttler in seiner geliebten Frauenkirche, sein Blechbläserensemble spielt tags drauf in St. Marien in Pirna, hernach in St. Michaelis in Hamburg, in Bad Segeberg; die Virtuosi Saxoniae treten eine Woche später wiederum in der Frauenkirche auf, danach in Köln und München. Einen Tag vor Weihnachten steht die inzwischen legendäre Vesper vor der Frauenkirche an, zu Weihnachten spielt Güttler in Berlin, nach den Feiertagen wiederum in der Frauenkirche, danach bis Silvester in kleineren sächsischen Kirchen … Noch Fragen? Nein? Na, dann los!

Güttler, das versteht, wer seine Aufnahmen hört, seine Texte liest, ist ein rastloser Musiker, Forscher, Manager, Dirigent, Festival-Leiter und Kulturstreiter. Seine jüngste CD-Veröffentlichung »EDITION EUROPA« versucht sich an einer inhaltlichen Klammer des Kontinents, beschwört die einigende Kraft der Musik. Die kleine Box versammelt Musik von Hasse, Zelenka, Bach, Händel, Zelenka, Vivaldi (»Ein Fixstern neben Bach«), Haydn, Mozart, Dvorak. Und wir hören ein »Concerto Es-Dur für Corno da caccia« von Jan Krtitel Neruda, Abkömmling einer Musikerfamilie, die mehrere Generationen lang Mitglieder der Dresdner Hofkapelle stellte. Güttler studierte die Partitur im Kloster Osek (Ossegg) und erkannte: eine Solopartie in dieser Höhe, das konnte nicht für Trompete geschrieben sein. Neruda hatte für ein Diskantinstrument komponiert, eben das »Corno da caccia«, das Güttler in den achtziger Jahren in Zusammenarbeit mit dem Instrumentenbauer Friedbert Syhre (1938-2008) nachempfinden half.

In der Landesmusikakademie Sachsen hat der Trompeter, der noch zu DDR-Zeiten, so schätzt ein damaliger SPIEGEL-Artikel, über neuntausend junge Trompeter direkt ausbildete oder indirekt über sein schriftliches Lehrwerk prägte, letztes Jahr vier Tage lang einen Meisterkurs geleitet. Neben seinen Konzerten findet Güttler immer noch Zeit für Interviews, Gesprächsrunden, Veröffentlichungen, Stiftungsarbeit, lokale Nachwuchsförderung. Und rastlos musiziert er nach wie vor. »Für das, was ich geschafft habe, bin ich dankbar. Was ich gerne geschafft hätte, bleibt wünschens- und erstrebenswert.« In diesem Sinne gratulieren wir zum fünfundsiebzigsten Geburtstag – und freuen uns auf die Dinge und Themen, die dem Altmeister (das darf man doch ab jetzt sagen?) nun die nächsten Jahre erstrebenswert sein werden: Stiftungsarbeit, Förderpolitik, Musikforschung, und immer wieder die Musik, die Königin aller Künste. Ihr hat Ludwig Güttler sein Leben verschrieben. Kompromisslos.

Ludwig Güttler
Foto: Juliane Njankouo

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