Personalia |

Peter Tietze (1931–2022)

Ein Nachruf von Prof. Milko Kersten, Präsident des Sächsischen Musikrates

Professor Peter Tietze (11. Mai 1931 – 17. Dezember 2022)

Peter Tietze lernte ich im Erzgebirge kennen. Von 2000 bis 2020 durfte ich künstlerischer Leiter des Landesjugendorchesters Sachsen sein, welches in den frühen 2000ern sein Probendomizil in Schneeberg am Filzteich hatte.

Als junger Dirigent habe ich dort eine Generation an Dozenten kennengelernt, die mich mit ihren Erfahrungen und der Offenheit einem jungen Musiker gegenüber stark geprägt hat. Die intensive Art, sich professionell mit jungen Instrumentalisten in klassische sinfonische Musik zu vertiefen, hat mich beeindruckt und gefordert. Zunehmend erst wurde mir klar, wieviel eigentlich an Vorbereitung von mir erwartet wurde, wie klar die Interpretationsvorstellung eines Dirigenten zu sein hat, will er nicht nur einem klanglichen Angebot choreographisch hinterherlaufen, sondern selbst das Geschehen überzeugend beeinflussen. In Professor Peter Tietze, dem langjährigen Teamchef der Dozenten des LJO und künstlerisch prägender Figur für Genrationen von Violinist/-innen in Berlin und Sachsen ist mir, das wurde erst später offensichtlich, das Geschenk eines unverhofften Privatlehrers im Hauptfach Dirigieren und Orchestererziehung (und Literatur!) gemacht worden.

Seine jahrzehntelange Berufserfahrung, die Bekanntschaft mit allen denkbaren Charakteren von dirigierenden Persönlichkeiten beiderlei Geschlechts, seine Prägung als »Konzertmeister Walter Felsensteins« an der Komischen Oper Berlin, wurde zu einem anwendbaren Wissensfundus, wobei die mitunter sich unbarmherzig anfühlende (weil ehrlich vorgebrachte) sachbezogene und geballte Kritik für mich genauso zu respektieren war, wie für viele Jahrgänge an Geiger/-innen des LJO – vielleicht mit dem Unterschied, dass ich weniger zu Tränen neigte, wenn das Vermögen hinter den eigenen Erwartungen zurückblieb …

Die Form der Anerkennung durch hilfreiche Kritik war mir in dieser Art neu und eine willkommene Welt. Bis auf den heutigen Tag sind wir freundschaftlich, nun in einem neuen spirituellen Raum, verbunden, wofür ich von Herzen dankbar bin. Auch weil ich durch Peter Tietze weit über das Dirigieren hinaus ein beträchtliches Stück das bin, was ich bis heute geworden bin.

Mit Peter Tietze verband mich die Überzeugung, dass für die jungen Musiker/-innen vertieftes, leidenschaftliches musikalisches Arbeiten nach wie vor eine unersetzliche Erfahrung – an künstlerisch-menschlicher Gemeinsamkeit, dem Sich-Mitteilenkönnen und nicht zuletzt an der instrumentalen Qualifikation – sei; dies hätte zu geschehen, so seine Maxime, unter Betreuung ausgewiesener Berufsmusiker/-innen, die auf internationalen Bühnen tätig sind, ihr Können und Engagement in die Probenarbeit und Konzerterfahrung der jungen Leute einbringen und ihre Erfahrungen reflektiert weitergeben sollten. Junge Instrumentalist/-innen vor allem durch eine individuelle, differenzierte und sinnstiftende Programmgestaltung zu begeistern war ein Impuls, den Peter Tietze aus Überzeugung und mit hoher Fachkenntnis unterstütze. Sich immer wieder zeitgenössischen Kompositionen und gesellschaftlich relevanten Thematiken zu stellen und sie mit jungen Musiker/-innen zu diskutieren sahen wir als Aufgabe an, die aus unserer Sicht weit mehr war, als ein rein musikalisches Freizeitangebot des Sächsischen Musikrates.

Mit Erwin Schulhoffs H.M.S. Royal Oak, Charles Ives Variations on America, Mauricio Kagels 10 Märsche um den Sieg zu verfehlen, Iris ter Schiphorsts  An den Stränden der Ruhe oder Karl Jenkins The Armed Man haben wir etliche gesellschaftlich engagierte Diskussionsklangbeiträge vorgestellt, die auch international Aufmerksamkeit erregt haben.

Peter Tietze war eine starke, polarisierende und von sehr vielen Menschen verehrte, sicherlich auch gefürchtete oder beneidete Künstlerpersönlichkeit. Seine 36 Jahre währende Konzertmeistertätigkeit an der Komischen Oper brachte ihm die persönliche Begegnung mit vielen ganz großen der Musikwelt (etwa David Oistrach, Henryk Szeryng, Ferenc Fricsay, Vaclav Neumann, Simone Young, Walter Felsenstein, Harry Kupfer u.v.a. mehr). Peter Tietze konnte, wie in Musikerkreisen nicht ungewöhnlich, allein lange Abende mit unzähligen Anekdoten dominieren und alle bestens unterhalten. Er war ein belesener, hochgebildeter Künstler mit der Begabung seine Partner für künstlerisch-unerbittlich zielstrebige Arbeit zu begeistern und war deshalb auch ein sehr erfolgreicher Geigenprofessor an Berlins Musikhochschule »Hanns Eisler«. Als Rostocker Jung keine Berührungsängste ins Sächsische habend (unvergessen seine Erzählungen aus den Zeiten des Erstengagements als Konzertmeister in Plauen 1952), war er von 1993 bis 2006 Violindozent des LJO Sachsen. 

Der Sächsische Musikrat hatte in ihm einen künstlerischen Partner von Format und einer Seinsausformung, die Stefan Zweig vielleicht beschrieben hätte als »hier wurde ein Lebenswerk geschaffen, dass aus einer Welt von Gestern Wirkmächtigkeit erlangte in eine neue Zeit, eine neue Generation, in ein neues Jahrhundert …«

Der Sächsische Musikrat verneigt sich in tiefer Dankbarkeit.

Prof. Milko Kersten

Präsident

 

Prof. Peter Tietze im Jahr 2002 bei Proben mit dem Landesjugendorchester Sachsen | © SMR

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