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»Kraftfahrer mit Dirigierverpflichtung«

Nach 24 Jahren beendet Jörg-Michael Schlegel seinen Dienst als Landesposaunenwart bei der Sächsischen Posaunenmission

Christina Schimmer im Gespräch mit Jörg-Michael Schlegel, Präsidiumsmitglied beim Sächsischen Musikrat und bisheriger Landesposaunenwart bei der Sächsischen Posaunenmission.


Wie viele Posaunenchöre gibt es eigentlich in Sachsen?

Ich schätze die Zahl auf ca. 425 Posaunenchöre. Sachsen hat in Mitteldeutschland die höchste Dichte an Posaunenchören. In diesen Chören werden übrigens nicht nur Posaunen, sondern verschiedene Blechblasinstrumente geblasen. Der Erfolg und die Verbreitung ist immer mit einzelnen Personen verbunden, die sich in der Geschichte für die Gründung stark gemacht haben. In Sachsen gab es Adolf Müller, der flächendeckende Arbeit geleistet hat. Seitdem hat fast jede Gemeinde einen Posaunenchor. In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg waren Posaunenchöre auch ein Sprachrohr des Widerstandes. Es war mutig, Mitglied zu sein und hörbar zur Kirche zu stehen.

Gibt es Posaunenchöre auch in anderen Ländern?

Das ist etwas typisch Deutsch-Protestantisches. Vergleichbar ist vielleicht die Brassbandszene in England. Die kommt aus dem Bergbau und der Kohleindustrie. Man dachte, das Blasen sei gut für die Lunge (was leider nicht ganz stimmt …). Die Zielgruppe für die Posaunenchorbewegung in Deutschland waren zunächst junge Männer. Man wollte sie aktiv in die Gemeindearbeit einbeziehen. Es wurde z.B. in Krankenhäusern und bei Freiluftgottesdiensten Musik gemacht.

Du warst 24 Jahre lang Landesposaunenwart, was macht man da genau?

Insgesamt sind wir in Sachsen vier Landesposaunenwarte. In der Dienstbeschreibung steht, dass man die Posaunenchöre in einer bestimmten Region betreut. Man leitet Proben, fördert die Jungbläser/-innen, führt Lehrgänge und Freizeiten durch, hat eigene Ensembles und organisiert Großveranstaltungen und Posaunenfeste. Außerdem haben wir einen eigenen Verlag, geben also Noten und Arbeitsmaterialien für Posaunenchöre heraus. Wichtig ist der Kontakt zu den einzelnen Posaunenchören im ganzen Land, die besucht werden. Ich komme da auf bis zu 3.000 km Fahrstrecke im Monat mit dem Auto. Ich bin sozusagen eine Art Kraftfahrer mit Dirigierverpflichtung.

Gibt es da Vorgaben, hast du deine Ziele erreicht?

In den vergangenen 24 Jahren haben wir eigentlich alles einmal umgegraben. Wir haben z.B. einen Landesjugendposaunenchor gegründet, für den ein Probespiel absolviert werden muss. Seit 2023 gibt es auch das Blechbläserensemble »MVSICA BRASS« für Leute ab 26 Jahren. Das ist vom musikalischen Niveau her schon eine eigene Hausnummer. Es hat sich durchaus was getan in den Jahren.

Du selbst bist Tubist und damit eher Exot?

Ja, das stimmt, aber die Menschen sind immer wieder überrascht, was mein Instrument so alles kann.

2024 war das Jahr der Tuba. Hat das diesem Instrument zu mehr Bekanntheit verholfen?

Ich denke schon. Zumal die Tuba tatsächlich oft ein Schattendasein führt. Die Idee der Aktion »Instrument des Jahres« besteht ja darin, mal den Fokus gezielt auf das Unauffällige zu richten. Dazu kommt bei der Tuba, dass auch die Tubaspieler/-innen häufig Einzelkämpfer sind und in Ihren Ensembles und Orchestern quasi immer auf sich gestellt sind. Insofern war der Workshop in der Landesmusikakademie mit 50 Teilnehmenden eine gute Möglichkeit sich auszutauschen, sich weiterzubilden und auch mal über den Tellerrand zu blicken. Und dann auch noch in einer reinen Tubaformation aufzutreten - das hat das »Jahr der Tuba« möglich gemacht.

Was war dein persönliches Highlight im Jahr deines Instruments?

Es waren in diesem Jahr wirklich sehr viele Termine, bei denen ich als Solist, Dozent, Juror und Organisator beteiligt war. Es gab einige Uraufführungen und viele tolle Begegnungen. Ein Highlight zu bennnen ist schwierig - vielleicht die Konzerte in Meißen und Hamburg, bei denen ich als Solist ein Konzertstück für Tuba und großes Blechbläserensemble spielen durfte.

Was war dein schönstes Erlebnis als Landesposauenwart?

Im Jahr 2008 fand der erste deutsche Posaunentag in Leipzig statt. Ich habe 15 000 Musizierende dirigiert, die Veranstaltung wurde live im Fernsehen übertragen. Wir haben es damit ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft. Es ist schon ein einmaliges Gefühl, wenn man so eine große Veranstaltung organisiert hat, alles wunderbar läuft und dann im Stadion der Schlusschoral erklingt.

Worauf bist du stolz?

Wir haben vieles professionalisiert, sind in der Kirchenmusiklandschaft etabliert. Davor waren wir Teil der Diakonie und die Mitarbeiter waren häufig Diakone. Dann kamen Kirchenmusiker dazu. Ich bin der erste Landesposaunenwart in Sachsen, der ein Blechblasinstrument im Hauptfach studiert hat, das hat sich natürlich fachlich ausgewirkt.

Wo siehst du Verbesserungsbedarf?

Ein Dauerthema ist die Ausbildung der Menschen im Ehrenamt, die wir besser qualifizieren müssen. Überall mangelt es an Lehrkräften, das müssen wir auffangen. Ein Thema ist die Vernetzung mit den örtlichen Musikschulen, das funktioniert teilweise gut – aber da ist noch »Luft nach oben«.

Was würdest du deinem Nachfolger mit auf den Weg geben?

Mein Nachfolger steht schon fest. Er heißt Ulrich Meier und war über 20 Jahre lang Kantor und KMD, zuletzt in Auerbach im Vogtland. Er ist ein toller Musiker und Kirchenmusiker, hat viel Berufserfahrung und wird das hervorragend machen.

Wie siehst du unsere Arbeit als Musikrat als Dachverband generell und im Bezug auf die Posaunenmission? Bewegen wir uns auf den richtigen Arbeitsfeldern?

Der Sächsische Musikrat als Zentralverband hat eine große Ausstrahlung. Das hat man besonders während der Pandemie gesehen. In der Schnittstelle von Politik und Zivilgesellschaft brauchen wir diese stabilen Strukturen. Die Themen und Aufgaben für den Musikrat werden sich immer wieder ändern, da muss man natürlich flexibel und umsichtig sein. Für uns als kirchenmusikalische Akteure ist es gut zu wissen, dass wir mit eingebunden sind.

Der Sächsische Musikrat verwaltet einen Instrumentenfonds mit einem Volumen von 3,5 Millionen Euro, spielt der eine Rolle in deiner Arbeit?

Das hat der Posaunenmission natürlich sehr geholfen. Gerade die Anschaffung einer Tuba wäre für viele Gruppen ohne den Instrumentenfonds nicht realisierbar gewesen. Begrüßenswert ist in dem Zusammenhang aber auch der direkte Kontakt in die Gemeinden hinein.

Wird sich deine Rolle im Präsidium verändern? Was erwartet uns da?

Da wird sich gar nichts verändern, da ich weiterhin in diesem Bereich aktiv bin.

Corona hat Musiker/-innen gezeigt wie schwierig es ist, freischaffend zu sein. Du gehst freiwillig in die Selbstständigkeit, warum?

Klar ist es ein Wagnis freischaffend zu sein. Ich habe noch 15 Jahre Berufsleben vor mir. Die zurückliegenden 24 Jahre waren sehr erfüllend und intensiv, aber es ist wie mit einem Tanker, der zu lange im Wasser ist. Da setzt sich am Schiffsrumpf allerlei Bewuchs an, die Fahrt wird dadurch gehemmt und langsamer. Irgendwann muss er mal aufs Trockendock und wieder flottgemacht werden. Ich kann jetzt meine Projekte freier auswählen, habe weniger Verpflichtungen und trotzdem genug Aufgaben.

Was wirst du ab Januar 2025 tun, gibt es da schon konkrete Projekte?

Ohja, da gibt es schon einiges. Ich mache Verlagsarbeit (Notensatz), spiele bei den Musikfestspielen bei einer Taschenoper mit und habe ein Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadt in Chemnitz. Außerdem tritt mein Nachfolger sein Amt erst im Mai an, d.h. ich werde in der Übergangszeit noch präsent sein. Ich freue mich darauf, jetzt einfach mal die Perspektive zu wechseln.

Wir wünschen dir alles Gute für die Zukunft!


Die offizielle Verabschiedung findet am 5. Januar um 15:00 Uhr 2025 in der Peterskirche zu Leipzig mit einem Bläsergottesdienst statt.

 

Jörg-Michael Schlegel
Foto: © Robert Frank

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