Offener Brief an die Kulturstaatsministerin Monika Grütters
Sehr geehrte Frau Grütters,
mit großer Bestürzung las ich heute Ihre Äußerungen auf den Seiten des Deutschlandfunks:
»Es werde zwar Verluste geben, sagte die CDU-Politikerin der Neuen Osnabrücker Zeitung. Einen Kahlschlag sehe sie aber nicht. Kultur gehöre zum Wesenskern der Gesellschaft und werde sehr schnell wieder eine starke Nachfrage erleben. Zugleich verwies Grütters darauf, dass Künstler von den Hilfsprogrammen der Bundesregierung profitieren und etwa Zuschüsse beantragen könnten.«
Ihre Aussage zeugt von völliger Unkenntnis der Arbeitswirklichkeit eines großen Teils der Kulturszene – der dieser Tage auch von Seiten der Politik immer wieder vielbeschworenen sog. Soloselbständigen.
Wir sind eine wichtige Säule der Kreativ- und Kulturbranche, wir sind klein, aber fein! Ohne uns höchstqualifizierte Spezialisten würde ein großer Teil sowohl der Kunst- als auch der Musikszene in sich zusammenfallen. Da wir aber eben diese Soloselbständigen sind, fliegen wir meistens unter dem Radar der großen Verbände und sind es gewohnt, dass unsere Bedürfnisse von der Politik ignoriert werden und wir uns um unsere Angelegenheiten selbst kümmern.
Die derzeit aufgestellten Hilfspakete gehen völlig an unserer Lebens- und Arbeitswirklichkeit vorbei. Sie nutzen uns nichts, da wir keine Betriebsstätten oder etwa Leasingwagen und somit keine hohen Betriebskosten haben. Was glaubt man in Ministerien, wovon Soloselbständige leben sollen, wenn die sog. Rettungs-Pakete lediglich durchzureichende Betriebskosten beinhalten? Diese kommen wieder nur den großen Playern zugute – Vermietern und etwa der Autoindustrie im Beispiel der Leasingwagen.
Stattdessen werden uns Kredite aufgenötigt, die unsere durch das faktische Berufsverbot auf null Euro Umsatz herunter gefahrenen Probleme in die Zukunft verlagern und dort verschärfen.
Als letzte Rettung wird versucht, uns das euphemistisch mit »Corona-Grundsicherung« betitelte Gängelinstrument – landläufig besser unter dem Titel »Hartz IV« bekannt – als den großen Wurf zu verkaufen. Die damit im öffentlichen Bewusstsein verankerte kalte Bürokratie assoziiert bei uns zuallererst die Sanktionsinstrumente, die zuletzt vom Bundesverfassungsgericht am 5. November 2019 als verfassungswidrig erklärt wurden. Die Politik hat hier jedes Vertrauen verwirkt, die Vielzahl der Freien werden aus wohl verständlichen Gründen andere Arbeitsmöglichkeiten suchen, denn sich schutzlos als Bittsteller dieser Bürokratie auszuliefern.
Die Kulturpolitik verschließt seit Jahren die Augen vor den strukturellen Problemen, denen wir als Freischaffende in der Kulturbranche ausgesetzt sind. Obwohl unvorstellbar hohe Summen auch unserer Steuern in die Kultur fließen, kommen schon in normalen Zeiten nur schmalste Gagen davon bei uns an. Rücklagen, selbst für kleinere Auftragsflauten als die jetzige existenJelle Krise, kann somit kaum ein Soloselbständiger bilden.
Es wird dennoch von uns erwartet, Meisterliches zum Hungerlohn zu erbringen. Ein Blick in die Statistiken der KSK macht das Problem seit Jahren für alle die Politiker sichtbar, die guten Willens wären, sich dieser Missstände anzunehmen. Außer Sonntagsreden und Absichtserklärungen tut sich jedoch nichts zur Verringerung dieses Prekariates. Mit dessen – unserer – Leistung sich Politik und die gut abgesicherten Verantwortlichen der Kulturbranche so gerne schmücken!
Ihre Aussagen zu unserer Situation klingen uns wie Hohn in den Ohren (Pressemitteilung 89, Mittwoch, 11. März 2020, Presse- und InformaJonsamt der Bundesregierung):
»Künstler und Kultureinrichtungen können sich darauf verlassen, gerade mit Blick auf die Lebenssituationen und Produktionsbedingungen der Kultur-, Kreativ- und Medienbranche: Ich lasse sie nicht im Stich! Wir haben ihre Sorgen im Blick und werden uns dafür einsetzen, dass die speziellen Belange des Kulturbetriebs und der Kreativen miteinbezogen werden, wenn es um Unterstützungsmaßnahmen und Liquiditätshilfen geht.«
»Wir müssen auf unverschuldete Härten und Notlagen reagieren und sie ausgleichen. Das muss uns nicht nur die Wirtschaft, sondern auch unsere durch die Absagen schwer gebeutelte Kulturlandschaft wert sein«
Die gegenwärtige Krise hält außergewöhnliche Härten für uns alle bereit. Wir erwarten aber, Sie bei Ihrem Wort nehmen zu dürfen! Setzen Sie sich für uns, die Soloselbständigen in der Kulturbranche ein!
Hören Sie auf uns, die eigentlichen Experten für unsere Arbeitswirklichkeit! Wir können Ihnen die Antworten auf offene Fragen geben – aber sprechen Sie mit uns.
Die Szene ist dabei, unaufhaltsam zu ertrinken! Es wird ein leiser und von der Öffentlichkeit zuerst unbemerkter Tod sein, aber seien Sie gewiss: wenn es keine substantiellen Verbesserungen der Rettungsschirme in Zusammenarbeit mit uns gibt, wird die Szene sterben!
Wir sind es gewohnt, uns selbst um unsere Probleme zu kümmern. Wir sind gut ausgebildet, kreativ und erfindungsreich. Sollte die Politik nichts für uns tun, jetzt wo wir Solidarität erbringen und ihrer so dringend bedürfen, werden wir uns andere Berufe suchen müssen.
Dann wird nach der Krise niemand mehr da sein, der Konzerte spielt, Filme schneidet, Kunstwerke erschafft, Veranstaltungen beleuchtet, im Theater und in Filmen spielt. Kämpfen Sie für unsere Interessen, machen Sie Ihren Job, damit wir den unseren nach der Krise tun können!
Andernfalls sprechen Sie bitte nie wieder in unserem Namen!
Mit freundlichen Grüßen,
Markus Müller
Oboist, Vorstand Alte Musik Sachsen e.V., Sprecher der Musiksparte Leipzig+Kultur