Grußwort des Präsidenten des Sächsischen Musikrates, Prof. Milko Kersten
Ich komme schon durch manche Land,
avec que la marmotte,
und immer was zu essen fand,
avec que la marmotte, …
Von Beethovens Melodie zu Goethes Text gibt es eine Aufnahme, wie ich als 11-Jähriger begleitet von meinem Vater aus voller Kehle singe … Am Beginn sind es Eltern, die mit ihren Kindern singen, ihnen die Schönheit der Texte und Melodien vermitteln. Ihnen, meinen Eltern und den Eltern aller Jahrgänge des Landesjugendchores Sachsen, denen das gelungen ist, gilt mein erster Dank.
Bunt sind schon die Wälder,
gelb die Stoppelfelder,
und der Herbst beginnt.
So sang ich im Schulchor der Geschwister-Scholl-Oberschule in Limbach-Oberfrohna. Außerhalb des Elternhauses, heutzutage nicht selten auch als Ersterfahrung, lernen Kinder unsere Volkslieder im Kindergarten oder der Schule kennen, wenn sie das Glück haben, dass der Musikunterricht stattfindet.
Mit großem Respekt habe ich verfolgt, mit welch enormem Engagement die Lehrerinnen und Lehrer mit allen zur Verfügung stehenden Mi(eln dafür gesorgt haben, dass unsere Kinder und Jugendlichen während und nach der Pandemie die Freude am Lernen behielten und sich, die Schwierigkeiten als Herausforderung annehmend, weiterentwickelt haben. Auf der anderen Seite hat die so lange anhaltende Isolierung viele Kinder und Jugendliche schwer belastet, zu viele wurden gar nicht mehr erreicht. Vermutlich auch in den Reihen des Landesjugendchores Sachsen?
Der Freistaat hat entschieden, dass immer noch zwischen Kern- und Randfächern zu unterscheiden sei. Der reduzierte Schulbetrieb habe sich aufgrund des Lehrermangels auf die Kernfächer zu beziehen. Natürlich müssen Priorisierungen festgelegt werden – Natürlich verstehen wir diese Intension, sehen sie aber sehr kritisch, wenn sie allein die Kernfächer fokussiert: inkludiert sie nämlich dann leider eine rückwärtsgewandte, kontraproduktive Selbstverzwergung einer modernen Bildungsauffassung. Das Recht auf musische und ethische Bildung wird marginalisiert und die Folge ist ein Dimensionsschwund. Soziale und politische Bildung, Sprache, Ästhetik, Naturwissenschaften, Philosophie und Religion – das ist der große gut klingende Kanon, der nicht ungestraft auf »Kernfächer« reduziert wird. Den Musiklehrerinnen und Musiklehrern an den allgemeinbildenden Schulen, Musikschulen und Hochschulen aller Jahrgänge des Landesjugendchores Sachsen gilt mein zweiter Dank. Liebe Sängerinnen und Sänger im Landesjugendchor – der Beruf der Musikpädagogin bzw. des Musikpädagogen ist interessant, lohnenswert und hat Zukunft – das ist eine Überlegung wert!
Wie soll ich dich empfangen, und wie begegn ich dir?
Im Dezember 1976 sang ich mein erstes Weihnachtsoratorium als Kruzianer. Unzählige weitere Aufführungen prägten meine Jugend. Ich nahm das als ein schönes, fast selbstverständliches Angebot wahr – man hatte mir ja Talent bescheinigt … Heute blicke ich mit Dankbarkeit auf diese großartige Chance der vertieften musikalischen Bildung zurück und bin glücklich zu sehen, wie viele verschiedene Angebote aktuell im Freistaat bestehen und mit großer Überzeugung von der Landesregierung unterstützt werden. Für das Vertrauen der Staatsregierung in die Arbeit des Sächsischen Musikrates und des Sächsischen Chorverbands, lieber Herr Ministerpräsident Kretschmer, danken wir sehr.
Und wie begeg’n ich dir? – nämlich der Heilsbotschaft eines Gottes, der durch Menschwerdung einen Neuen Bund anbietet – der kein Rachegott und richtender Gott, sondern ein Friedensfürst sein möchte.
Im Studium wurde mir mehr und mehr klar, wovon ich als Kruzianer die vielen Jahre gesungen hatte – die Kirchenmusik aller Jahrhunderte beschrieb die drei Wurzeln des heutigen Europas:
- die Erfindung der Demokratie in Griechenland,
- die Installation des bürgerlichen Rechts durch das römische Reich
- und die jüdisch-christliche Heilsbotschaft.
Gestern Abend hat der Ministerpräsident anlässlich der HopeGala Papst Franziskus mit den Worten zitiert: »Das Mittelmeer ist zum Grab der Menschenwürde geworden.« Und er ergänzte, wir als Europäer müssen teilen lernen, wir müssen Perspektiven in den Heimatländern der tausenden Flüchtenden kreieren, damit nicht die falsche Hoffnung, in Europa sei für alle Platz und ein Leben in Wohlstand möglich, so viele Menschen ins Unglück stürzt. Danke, Herr Kretschmer, für diese klaren Worte, die uns alle fordern.
Mein abschließender Dank gilt den Mitgliedern aller Jahrgänge des Landesjugendchores Sachsen – für euer Engagement, für eure Leidenschaft und die Kraft, mit klugen und fantasievollen Programmen euch selbst und unsere Gesellschaft zu bereichern. Dank dir, lieber Ron-Dirk, für dein persönliches Engagement und alle guten Wünsche für eure weitere Arbeit!
Ihr sollt euer Jubiläum mit großer Überzeugung feiern, froh und unbeschwert auf vieles Erlebte zurückschauen und neugierig und zuversichtlich in die Zukunft schauen. Unsere Zeit lässt allerdings eine unreflektierte, ausgelassene Freude nicht zu. Ich bitte euch, liebe Chorsängerinnen und -sänger, stets mitzudenken, dass es unzählige junge Menschen gibt, die genauso gern singen würden wie ihr, denen das Menschenrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aber verwehrt wird.
So denken wir momentan besonders an die Jugendlichen in der Ukraine, an die Mädchen und jungen Frauen in Afghanistan und Iran, an die Jugendlichen in Israel. Ohne Wenn und Aber stehen wir an der Seite des Staates Israel. Wir denken auch an die vielen friedliebenden und humanistisch gesinnten Menschen in Russland, Weißrussland und im Gazastreifen, die als Geiseln terroristischer Machthaber auf schlimme Art und Weise in Haft genommen sind und furchtbar leiden.
Und dieses Mitgefühl sollte uns wohlhabende Europäer, jung und alt, dazu veranlassen, mit Demut und Dankbarkeit anzunehmen, was wir haben dürfen. Und wir sollten verstehen lernen, dass unser Glück nicht beeinträchtigt wird, wenn wir endlich teilen und abgeben.
Wir wollen stehen für Demokratie, Recht und die Heilsbotschaft bedingungsloser Freiheit.
Dulden wir,
ich meine ganz konkret auch uns heute Abend, mit dieser Haltung ab morgen im Alltag
Spott und Hohn,
so werden wir in Bachs Tönen und der tänzerischen Kommentierung gleich die Ermutigung erfahren:
dennoch bleibst du auch im Leide,
Jesu (= Freiheit!), meine Freude!